Auch im
heftigen Streit, den Kierkegaard mit der dänischen Landeskirche entzündete,
spielt der Spießer nur eine kleine Rolle und selten ist er direkt genannt.
Kierkegaard schreibt zum Beispiel:
„<<Hatte
der Apostel Paulus irgendein Amt?>> Nein, Paulus hatte kein Amt. <<Verdiente
er dann auf andere Weise viel Geld?>> Nein, er verdiente auf keine Weise
Geld. <<War er denn wenigstens verheiratet?>> Nein, er war nicht
verheiratet. <<Aber dann ist ja Paulus kein ernsthafter Mann!>>
Nein, Paulus ist kein ernsthafter Mann."
Das
(Spieß-)Bürgerliche ist hier der Maßstab, an dem gemessen wird. Aber das Genie oder der
Apostel, sie passen nicht in die bürgerlichen Wandschrankschubladen. Kein Amt,
kein sicheres Einkommen, keine Ehefrau, kein Zeichen der Spießigkeit. Das macht
verdächtig. Der Spießer verdächtigt das Andere. Die Oberflächlichkeit, die
Gedankenlosigkeit solcher Urteile greift Kierkegaard an. Und damit greift er
auch das Spießbürgertum an.
Aber das ist
nicht sein zentrales Anliegen, im folgenden Zitat kommt man dem etwas näher:
„In der
prächtigen Domkirche tritt der hochwohlgeborene, hochwürdige geheime
General-Oberhofprediger auf, der auserwählte Günstling der vornehmen Welt, er
tritt auf vor einem auserwählten Kreis von Auserwählten, und predigt g e r ü h
r t über den von ihm selbst ausgewählten Text: <<Gott hat auserwählt das
Geringe vor der Welt und das Verachtete>> – und da ist niemand der
lacht.“
Damit wird deutlich,
worum sich Kierkegaards Ärger vor allem dreht: die Diskrepanz von Innerem und
Äußerem. Das eine predigen, das andere tun – und es nicht einmal merken. Das ist nun
nicht das Problem des Spießers – also, das Nicht-Merken schon, aber nicht
die Diskrepanz von Innerem und Äußerem. Dem Spießer sieht man ja das
Spießbürgerliche an; für gewöhnlich ist da keine Diskrepanz. Ein Jägerzaun ist
ein Jägerzaun. Wenn der Jägerzaun dann ausnahmsweise kein Jägerzaun ist,
sondern eine Bruchsteinmauer, ist man doch erfreut. Wenn im 80er Jahre
Klinkerbau – meinetwegen – ein linker Katholik über Occupy-den-Kölner-Dom
nachdenkt – dann freue ich mich doch, weil meine Vorurteile widerlegt sind.
Kierkegaard
hat nebenbei ein Interesse am Spießer. Und, das ist am (vorläufigen) Ende
dieser kleinen Kierkegaard-Serie nochmal festzuhalten: Er ist
selber kein Spießer. Seine Schriften lassen sich nicht so gegen den Strich lesen, dass er
am Ende doch als Spießbürger dasteht. Ach, dann könnte man ihn sogar
eher zu seinem 200. Geburtstag als Sektierer und religiösen Fundamentalisten entdecken, wenn es denn unbedingt originell (und sehr falsch) sein soll.
Von dieser
sicheren Warte aus kann ich nicht über den Spießbürger schreiben. Ich wache nachts mit
schweren Träumen auf, den LBS-Slogan auf trockenen Lippen: Entdecke den Spießer
in dir – – und bring' ihn um!
Quellen: Sören Kierkegaard: Der Augenblick. Aufsätze und Schriften des letzten Streits, übers. von Hayo Gerdes, Düsseldorf: Diederichs 1959 (zuerst dänisch 1855).
siehe auch den schönen Beitrag von Barbara Zillmann für den SWR2.
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