Dienstag, 16. September 2014

Expressionisten und Spießbürger: Theodor Haecker


Der Spießbürger ist kein Extremist. Und Bernd Lucke sah wirklich ganz nett aus, als er sich jetzt im Fernsehen immer wieder freuen durfte. Die anderen von der AfD auch. Herzliches Lachen und ein bescheidenes „wir müssen nun ganz viel lernen“. Das wirkt nicht bedrohlich. Für die CDU vielleicht oder für diese andere Partei, die es mal gab. Ich kann mich kaum erinnern, Spaßpartei hieß die, glaube ich, damals.

Ganz einfache Zuordnungen lassen sich allerdings nicht treffen. Hier links, dort rechts und dazwischen die Spießer. Das Gefüge ist komplizierter geworden. Nein, Unsinn, es war immer schon komplizierter. Das Bedauerliche aller historischen Phänomene ist, dass sie kompliziert werden, wenn man einmal genau hinschaut. Über den Expressionismus und das Spießbürgertum habe ich hier schon mehrfach geschrieben (1, 2, 3, 4). Nun wieder ein nahezu vergessener Schreiber, der ebenfalls dem Expressionismus zuzuordnen ist: Theodor Haecker, der zunächst bekannt wurde, weil er für die (ehemals berühmte) österreichische expressionistische Zeitschrift „Der Brenner“ arbeitete.

Seine Position ist mit den gängigen Schemata schlecht zu erfassen: Links, rechts, mittig, eingeklemmt im Dachgeschoss? Oder liberal, konservativ, sozialistisch? Das meiste ganz sicher nicht. Schaut man sich an, wie Haecker über die Sozialisten und die Liberalen schreibt, sieht man einen Konservativen vor sich, meinetwegen einen Lucke mit Wutanfall, der sich aber wegen dieser Schärfe wieder NPD-Nähe vorwerfen lassen müsste. 1914 schreibt Theodor Hacker:

„Das aktive Böse dieser Welt ist heute in Westeuropa in der Form der Formlosigkeit in Presse und Publikum zu Hause, in Parlamentarismus, Wählerschaft, Bank- und Geldwirtschaft, lauter anonymen, vollkommen verantwortungslosen, nicht faßbaren Massenmächten. Ich werde aber von dem Glauben nicht lassen, daß der blutrünstigste Tyrann noch leichter zu jenem geistigen Verantwortungsgefühl gelangen kann, ohne das keiner herrschen darf, leichter, sage ich, als die von Verleger, Abonnenten und Inserenten abhängigen Redaktionskollegien in Massenauflagen erscheinender sozialdemokratischer Zeitungen und Zeitschriften [...], leichter auch als Bankiers und Mitglieder anonymer Aktien-Gesellschaften, die für hohe Dividenden Werte der Kultur ohne ein Achselzucken hingeben.“

Der „blutrünstigste Tyrann“ kam dann ja knappe zwanzig Jahre später an die Macht. Da bezog Haecker dann Stellung und beteiligte sich am Widerstand. Im Umfeld der „Weißen Rose“ kann man seinen Namen manchmal noch lesen. Also keine Angst, die NPD wird Haecker nicht vereinnahmen wollen.

Jedenfalls, die sozialistischen Tendenzen, die um den Ersten Weltkrieg so eine große Wirkung entfalteten, fand Haecker eher nicht so anziehend:

„Wer wäre auch imstande diese Klimax zu erfinden: Moses, Christus, Marx. Wer glaubt mir denn noch nach 100 Jahren, daß sie in der „führenden geistigen Monatsschrift Deutschlands“ stand und nicht in einem Krankenbericht aus einem Irrenhaus oder einer Idiotenanstalt? Progressive Paralyse oder dementia praecox.“

Das ist jetzt genau 100 Jahre her. Aber Haecker irrte sich, Marx wird gerade wieder zu einem Verkaufsschlager. Aber welchen Moses meinte er um Himmels Willen?

Ein Konservativer ist Haecker also: antikommunistisch, antiliberal. Und gleichzeitig antibürgerlich. Über den damals gefeierten, bürgerlichen Thomas Mann schreibt er:

„Die ganze Tragikomik der ästhetischen Verwirrungen wurde uns durch die dankenswert naive Beichte eines gelesenen Schriftstellers enthüllt. Es war an sich gewiß uninteressant, daß einer den „Tod in Venedig“ herausgab, denn solche Stilübungen werden in der Literatur zu allen Zeiten fabriziert, und es ist doch nur, bürgerlich gesprochen, nett und erbaulich, daß einer all das, zu dessen Erlernung er einst im Gymnasium zu genial war, in seinen vierziger Jahren durch zähen Fleiß glatt und akkurat so wie ein Gymnasiast wieder einholen kann. Von besagtem Autor galt auch immer, was der junge Kierkegaard von ähnlichen Epikern seiner Zeit sagte: ihre Bücher sind nicht Produktionen, sondern Amputationen.“

„Der Brenner“ druckte avancierte Lyrik, sehr viel vom genialen Georg Trakl zum Beispiel. Konservatismus in einzelnen Bereichen bedeutet also nicht, dass die spießbürgerliche Beschränktheit einfach abgenickt werden muss. Außerdem hat die Geschichte Haecker ja Recht gegeben: Thomas Mann ist nur noch wenigen Germanisten bekannt, „Der Brenner“ hingegen liegt heute an jedem gut sortierten Bahnhofskiosk. – Und manchmal liegt dann eben die Geschichte falsch.


Die Zitate stammen alle aus Texten Theodor Haeckers, die 1914 bis 1915 im Brenner abgedruckt wurden.

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