Der Spießbürger ist kein Extremist. Und Bernd Lucke sah wirklich ganz nett aus, als er sich jetzt im Fernsehen immer wieder freuen durfte. Die anderen von der AfD auch. Herzliches Lachen und ein bescheidenes „wir müssen nun ganz viel lernen“. Das wirkt nicht bedrohlich. Für die CDU vielleicht oder für diese andere Partei, die es mal gab. Ich kann mich kaum erinnern, Spaßpartei hieß die, glaube ich, damals.
Ganz einfache
Zuordnungen lassen sich allerdings nicht treffen. Hier links, dort rechts und
dazwischen die Spießer. Das Gefüge ist komplizierter geworden. Nein, Unsinn, es
war immer schon komplizierter. Das Bedauerliche aller historischen Phänomene
ist, dass sie kompliziert werden, wenn man einmal genau hinschaut. Über den
Expressionismus und das Spießbürgertum habe ich hier schon mehrfach geschrieben
(1, 2, 3, 4). Nun wieder ein nahezu vergessener Schreiber, der ebenfalls dem Expressionismus
zuzuordnen ist: Theodor Haecker, der zunächst bekannt wurde, weil er für die (ehemals
berühmte) österreichische expressionistische Zeitschrift „Der Brenner“ arbeitete.
Seine Position
ist mit den gängigen Schemata schlecht zu erfassen: Links, rechts, mittig,
eingeklemmt im Dachgeschoss? Oder liberal, konservativ, sozialistisch? Das
meiste ganz sicher nicht. Schaut man sich an, wie Haecker über die Sozialisten
und die Liberalen schreibt, sieht man einen Konservativen vor sich, meinetwegen
einen Lucke mit Wutanfall, der sich aber wegen dieser Schärfe wieder NPD-Nähe
vorwerfen lassen müsste. 1914 schreibt Theodor Hacker:
„Das aktive
Böse dieser Welt ist heute in Westeuropa in der Form der Formlosigkeit in
Presse und Publikum zu Hause, in Parlamentarismus, Wählerschaft, Bank- und
Geldwirtschaft, lauter anonymen, vollkommen verantwortungslosen, nicht faßbaren
Massenmächten. Ich werde aber von dem Glauben nicht lassen, daß der
blutrünstigste Tyrann noch leichter zu jenem geistigen Verantwortungsgefühl
gelangen kann, ohne das keiner herrschen darf, leichter, sage ich, als die von
Verleger, Abonnenten und Inserenten abhängigen Redaktionskollegien in
Massenauflagen erscheinender sozialdemokratischer Zeitungen und Zeitschriften
[...], leichter auch als Bankiers und Mitglieder anonymer
Aktien-Gesellschaften, die für hohe Dividenden Werte der Kultur ohne ein
Achselzucken hingeben.“
Der „blutrünstigste
Tyrann“ kam dann ja knappe zwanzig Jahre später an die Macht. Da bezog Haecker dann
Stellung und beteiligte sich am Widerstand. Im Umfeld der „Weißen Rose“ kann
man seinen Namen manchmal noch lesen. Also keine Angst, die NPD wird Haecker
nicht vereinnahmen wollen.
Jedenfalls,
die sozialistischen Tendenzen, die um den Ersten Weltkrieg so eine große
Wirkung entfalteten, fand Haecker eher nicht so anziehend:
„Wer wäre auch
imstande diese Klimax zu erfinden: Moses, Christus, Marx. Wer glaubt mir denn
noch nach 100 Jahren, daß sie in der „führenden geistigen Monatsschrift
Deutschlands“ stand und nicht in einem Krankenbericht aus einem Irrenhaus oder
einer Idiotenanstalt? Progressive Paralyse oder dementia praecox.“
Das ist jetzt
genau 100 Jahre her. Aber Haecker irrte sich, Marx wird gerade wieder zu einem
Verkaufsschlager. Aber welchen Moses meinte er um Himmels Willen?
Ein Konservativer
ist Haecker also: antikommunistisch, antiliberal. Und gleichzeitig
antibürgerlich. Über den damals gefeierten, bürgerlichen Thomas Mann schreibt
er:
„Die ganze
Tragikomik der ästhetischen Verwirrungen wurde uns durch die dankenswert naive
Beichte eines gelesenen Schriftstellers enthüllt. Es war an sich gewiß
uninteressant, daß einer den „Tod in Venedig“ herausgab, denn solche
Stilübungen werden in der Literatur zu allen Zeiten fabriziert, und es ist doch
nur, bürgerlich gesprochen, nett und erbaulich, daß einer all das, zu dessen
Erlernung er einst im Gymnasium zu genial war, in seinen vierziger Jahren durch
zähen Fleiß glatt und akkurat so wie ein Gymnasiast wieder einholen kann. Von
besagtem Autor galt auch immer, was der junge Kierkegaard von ähnlichen Epikern
seiner Zeit sagte: ihre Bücher sind nicht Produktionen, sondern Amputationen.“
„Der Brenner“ druckte
avancierte Lyrik, sehr viel vom genialen Georg Trakl zum Beispiel.
Konservatismus in einzelnen Bereichen bedeutet also nicht, dass die spießbürgerliche
Beschränktheit einfach abgenickt werden muss. Außerdem hat die Geschichte Haecker
ja Recht gegeben: Thomas Mann ist nur noch wenigen Germanisten bekannt, „Der
Brenner“ hingegen liegt heute an jedem gut sortierten Bahnhofskiosk. – Und
manchmal liegt dann eben die Geschichte falsch.
Die Zitate
stammen alle aus Texten Theodor Haeckers, die 1914 bis 1915 im Brenner abgedruckt
wurden.
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