Freitag, 25. Oktober 2013

Fünf Synonyme für den Spießer


Ich hänge ja gar nicht am Begriff. Möglicherweise ist der ‚Spießer‘ derzeit schlecht geeignet, um irgendetwas Kritisches zu sagen. Möglicherweise ist der Begriff mittlerweile ein Lob- und Spaßwort, ein Ironiedauerbrenner, ein Schulterklopfer für die Toleranten und Selbstbewussten.

Ich bezweifle das. Aber ich füge mich. Und nenne erst mal fünf Begriffe, die zeitweise, ortsweise, situationsweise das gleiche bedeuten oder bedeuteten:

1) Der Kleinbürger
Das Wort, das in der Alltagssprache kaum noch jemand gebraucht, spricht für sich selbst. Der Kleinbürger war zwar Bürger, gehörte also nicht zum Proletariat, aber ein kleiner. Klein wie er war, sah er nicht weit. Die kleinbürgerlichen Verhältnisse – hier zuckt man vielleicht noch zusammen. Da riecht es immer nach Kohlsuppe, da lüftet niemand, da liegt ein schwerer Teppich unter einem schweren Sessel. Die Fernsehserie „Ein Herz und eine Seele“ mit dem berühmten „Ekel Alfred“ zeigt den vollendeten Kleinbürger: frauenfeindlich, ausländerfeindlich, judenfeindlich, gegen die SPD – will er zumindest zum Karneval ein Napoleon sein.
  
2) Der Philister 
Der Philister war ein Modewort um 1800, das nun schon eine ganze Weile ausgedient hat. Vielleicht ergeht es dem Spießer bald ähnlich!? Auf Schulhöfen und in Universitäten wird heutzutage meines Wissens niemand mehr als Philister beschimpft, um 1800 aber war das sehr beliebt. Der beschränkte Pedant musste sich das anhören. Beschränktheit und Pedanterie sind, meine ich, nicht verschwunden, nur der Philister, der nun wieder in seine alttestamentliche Heimat zurückgekehrt ist. 

3) Der Schwabe
Spätestens mit Wolfgang Thierses Polemiken gegen die Schwaben in Berlin, ist ‚der Schwabe‘ zu einem Synonym für Spießigkeit in der Hauptstadt geworden. Natürlich: Die Kehrwoche ist schuld, schwäbischer Kulturexport, der im hippen Berlin nicht so einschlug, wie erhofft. Es sind hier auch klare Abgrenzungsversuche der Berliner Bürger, die Angst haben, Teile ihrer Stadt an Zugezogene verlieren. Um die Gentrifizierung besser bekämpfen zu können, so ließe sich sagen, brauche es Gegner aus Fleisch und Blut, aus Spätzle und Trollinger; Gegner, denen man eine in Berlin besonders verhasste Eigenschaft nachsagen kann: Spießigkeit. Die Berliner Offenheit und Toleranz ende, so Thierse, wenn Weckle statt Schrippe in der Bäckerei gesagt werde. Das gehe zu weit.

Hermann Hesse: ein Schwabe, aber kein Spießer.
Bildnis von Ernst Würtenberger, auf Wikimedia.

4) Der Däne
Zu einem echten Begriff brachten es die ‚Dänen‘, zugegeben, nicht, sie bleiben eine Anekdote in der Geschichte des Spießertums. Doch um 1900 gab es Überlegungen, was geschehe, wenn Deutschland werde wie Dänemark. Die (auch ironische) Angst, die Geschichte mache aus allen Nationen irgendwann zwangsläufig so etwas wie Dänemark, nämlich verspießbürgerte Staaten. Alles sei bestens eingerichtet: Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Toiletten – und alles sei unendlich langweilig geworden. Die Berliner haben Angst, dass zu viele Schwaben kommen und die Hauptstadt mit Weinbergen umgeben. Die Dänen-Angst zielte auf das eigene: Bloß nicht zum Dänen werden, also zum Spießbürger! Na das ist immerhin selbstreflexiv und spielt nicht mit der Angst vor Überfremdung.

5) Der Bünzli
Bünzli nennen die Schweizer einen Spießer. Das geht zurück auf eine Theater- und Bühnenfigur namens Heiri Bünzli, die eben besonders spießig war. Bedauerlich, ich kenne diese Filme nicht. Der schweizerische Spießer muss ja doch ein enormes Exemplar sein. Christian Kracht, der am Drehbuch von Finsterworld mitgeschrieben hat, der gerade in die Kinos kommt, selbst Schweizer, sagte der ZEIT in einem Interview: „Na gut, ich sehe aber auch keinen Sinn darin, etwa von Basel nach Zürich umzuziehen. Die Schweiz ist das insularste, vertrocknetste, kleinlichste Kleinland, das es überhaupt gibt.“ Das ist bemerkenswert: Wenn die Schweiz bereits als Ganzes besehen gewisse Züge der Spießigkeit besitzt, so muss der hiervon polemisch abgehobene Bünzli wirklich ein Ideal darstellen.

Einige Begriffe werden in meinem Blog voraussichtlich noch eine Rolle spielen, wie der Philister beispielsweise. Wenn der Spießer sich immer mehr als toleranter, modebewusster Avantgarde-Künstler zu erkennen gibt, werde ich ihn gegen einen seiner synonymen Freunde austauschen. Bis dahin bleibt er hier die Hauptfigur.

Quellen: Wolfgang Thierse in der Berliner Morgenpost, am 30.12.2012.
Christian Kracht in der ZEIT, am 10.10.2013.
Art. Philister, in: Jacob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 
Art. Bünzli, in: Wikipedia 
Erich von Mendelssohn: Die Heimkehr, Leipzig: Verlag d. Weissen Bücher 1914. (zu 'Der Däne')

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