Donnerstag, 10. Oktober 2013

Neue Spießer. Eine Beispielgeschichte


Eine Geburtstagseinladung bei entfernten Bekannten, so weit entfernt, wie es nur irgend geht. Ich kenne diese Leute der Geschichte gar nicht, und sie kennen mich nicht.

Ich betrete den schönen Altbau am Stadtrand, dort, wo die Stadt fast aufhört und die Felder beginnen, dort, wo schon die Bäume durch die Straßen spazieren. Die Wohnung liegt im ersten Stock, mein kleines Geschenk trage ich in der Hand. Sie wohnen da zu dritt, Mann, Frau und ein kleiner Junge. Sie, Karin, hat Geburtstag und öffnet die Tür. Ich gratuliere ihr. Von Ronald, ihrem Partner, ist zunächst nichts zu sehen. Der Junge, Konstantin, wirft gerade Holzbauklötze vom Kinderzimmer in den Flur.

Die Wohnung ist schon recht voll, viele Erwachsene mit Kuchenstücken in den Händen, viele Kinder mit Kuchenstücken auf den Hosen. Karin eilt zu anderen Gästen. Ich gehe durch die Wohnung, die ich noch gar nicht kenne und begrüße hier und da einen Buddha, der mich freundlich anlächelt. In der Küche steht Ronald, an den Kühlschrank gelehnt, mit ein paar Männern im Gespräch. Und dann die vollkommene Zurschaustellung der Unspießigkeit: Ich sehe, dass die anderen Männer Bierflaschen in den Händen halten. Ronald hat mich bereits gesehen und mir grüßend zugenickt. Er spricht mich nicht an, fragt mich nicht, ob ich ein Bier möchte. Er lehnt weiter am Kühlschrank und beteiligt sich am Gespräch. Also frage ich nach einem kurzen Warten ihn, ob er vielleicht unter Umständen einen Schritt zur Seite treten könnte, damit ich an den Kühlschrank komme, worin ich das Bier vermute. Das Gegenteil eines Gastgebers.

Mit meinem Bier in der Hand höre ich nun verschiedenen Gesprächen zu. Beispiele einer unbemerkten Spießbürgerlichkeit:
Mark: „Nein, wir waren in diesem Jahr gar nicht in Urlaub. Mit unserer Kleinen war es uns einfach zu viel. Wo wart ihr denn?“
Leander: „Wir sind wieder an die Ostsee gefahren, mit unserem Camper. Die Strecke ist ja gut zu schaffen und wir haben da einen genialen Campingplatz gefunden. Schon vor drei Jahren, als Max gerade ein halbes Jahr alt war. Da gibt es keine Dauercamper auf dem Platz, das ist schon einmal sehr angenehm. Da kann sich zwar jeder hinstellen, wo er will, da gibt es nicht so abgetrennte Parzellen, sondern nur so angedeutete Stellplätze. Aber du kommst selbst mit unserem großen Camper überall hin. Trotzdem sind da keine Jugendgruppen, sondern nur Familien. Der ist natürlich nicht ganz billig der Platz, und die achten auch auf eine gewisse Ruhe am Abend. Finde ich aber gut.“
Mark: „Klingt gut, dieser Krach geht beim Campen gar nicht.“
Leander: „Nein, geht gar nicht. Nur die Leute sind echt unfreundlich. Also in den Dörfern da, nicht die Urlauber, die sind nett. Aber die Leute, die da wohnen! Das ist noch ganz tiefe Ostprovinz. Wir haben in diesem Jahr echt fast alles mitgenommen, was wir brauchten, weil meine Frau da mal in einem kleinen Supermarkt so blöde behandelt wurde. Echt so richtig Osten ist das noch, gruselig. Aber die Landschaft ist einmalig.“ Etc. etc.

Sabine: „Habt ihr denn hier eine schöne KiTa gefunden?“
Karin: „Ja, haben wir. Das war mir auch wahnsinnig wichtig. Deshalb sind wir auch hierher gezogen. Konstantin musste jetzt wirklich in die KiTa.“
Sabine: „Ja, klar, die brauchen das.“
Susanne, die auch in der kleinen Runde steht, sieht, wie ihre Tochter einem anderen Kind an den Haaren zieht und ermahnt sie mit lauter Stimme: „Hör auf damit oder du bekommst richtig Ärger von mir!“
Karin: „Susanne, das geht doch nicht. Du kannst deine Tochter doch nicht anschreien! Du hast ihr richtig gedroht, das geht überhaupt nicht! Du kannst hier, auch noch vor uns, doch nicht drohen und schreien. Das darf man nicht!“ Etc. etc.

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