Sören Kierkegaard
hat gesagt, der Spießbürger habe keine Phantasie. Das müsste dann zu sehen
sein. Die Zeichen des Spießers, nach Kierkegaard, wären also Zeichen der
Phantasielosigkeit.
Der Gartenzwerg,
der als ein Zeichen einer etwas veralteten, geradezu noch einmal
zurückgebliebenen Spießigkeit gilt, taucht im aktuellen Werbespot der LBS
wieder auf. Allerdings mit Bierflasche in der einen Hand und die andere zum
Rockergruß erhoben. Der Gartenzwerg ist – danke LBS, na immerhin haben wir 2013
und die Metalszene ist vierzig Jahre alt – bei der ganz ganz modernen Musik
angekommen. Er fährt wohl auch jedes Jahr mit nach Wacken und findet es echt prima
dort. Einem Gartenzwerg eine Bierflasche in die Hand zu drücken, muss man nicht
lustig finden und nicht originell – ich finde es nicht lustig und nicht originell –,
aber der LBS-Spot will damit etwas sagen: Ein Gartenzwerg ist phantasielos, mit
Bierflasche aber ist er ein phantasievoller Gartenzwerg geworden. Und nur noch
tief drinnen spießig, versteckt. Wer so viel Phantasie hat, seinem Gartenzwerg ein
Bier anzubieten, oder wer noch verrückter wäre, ihn mit Joint und Reggae-Mütze
auszustatten, meinetwegen mit Bionade und Dinkelzwieback, er kann kein Spießer
sein. Oder eben nur ein bisschen, er muss den Spießer erst in sich entdecken. Wenn
er all seine ungeheure Kreativität für einen Moment beiseite räumt, taucht
vielleicht der Rest-Spießer auf, der dann den Bausparvertrag unterzeichnen
kann.
Dann hätte
Kierkegaard Recht: Der Spießer gilt als phantasielos. Wer den Anschein der
Spießigkeit zerstreuen will, der experimentiert mit seinen Gartenzwergen. (Ach,
ein Buddha mit Parka und Existenzialistenbrille – für ihn hätte ich ein Lächeln
übrig gehabt.)
Die Zeichen
sind allerdings nicht eindeutig. Das weiß Kierkegaard. Ich sehe nun in sein Entweder/Oder hinein. Das Buch besteht
aus zwei Teilen: Der erste wird erzählt von einem vollendeten Ästheten, einem
Dichter und Lebenskünstler. Der zweite Teil besteht aus den Aufzeichnungen
eines Gerichtsrates Wilhelm, verheiratet, solide. Es ist leicht, sich diesen
Wilhelm als perfekten Spießbürger vorzustellen. Selbst die LBS würde ihn kaum
für einen Werbespot buchen wollen, er wirkt zu langweilig. Aber er ist, nach
Kierkegaards Auffassung, kein Spießbürger. Warum nicht?
Er weiß, was
er tut. Er will es so. Der Spießer ginge in dem Lebenstrott auf, er wird
Gerichtsrat, weil sein Vater einer war, denkt nicht weiter nach, heiratet, weil
das der Bürger im 19. Jahrhundert so tat. Aber dieser Gerichtsrat Wilhelm, er
fragt sich, wer er sei und wird dann eben zu diesem Gerichtsrat Wilhelm. Das
klingt nun allzu sehr nach einer Kinderbuchweisheit: Der Hase, der nicht weiß,
was er tun soll, geht zur Kuh – nein, Milch geben, kann er leider nicht –, dann
weiter zum Schaf – auch die Wolle des Hasen braucht niemand. Schließlich
entdeckt er, dass nur er ein Osterhase werden kann, dass dies sein Weg sei oder,
wenn es damit nicht klappen sollte, er im Römertopf vom Gerichtsrat Wilhelm gut
aufgehoben wäre. Die Moral: Horche in dich hinein, wer du bist. Selbsterkenntnis!
Nichts gegen diese Kinderbuchmoral, aber dafür hätte es einen Kierkegaard nicht
gebraucht.
Kierkegaard
spitzt diese Moral unendlich zu. Es geht nicht allein um Selbsterkenntnis.
Die ist Voraussetzung. Es geht ihm um die Selbstwahl. Der Hase, wenn er sich
einmal als Hasen erkannt hat, muss sich ‚wählen‘. Das klingt paradox. Er kann
sich doch eben nicht aussuchen, eine Kuh zu sein, sondern bleibt immer Hase.
Wieso dann wählen? Er soll trotzdem wählen, das heißt, die Verantwortung dafür
übernehmen, was er ist. Das ist eine Zumutung, denkt der Hase im Römertopf, und
er hat auch Recht. Aber er kann aufhören mit dem Schicksal zu hadern, denn er
hat ja gewählt. Er kann etwas aus sich machen, denn er ist ja verantwortlich.
Soweit Kierkegaard.
Der
Gerichtsrat, den Kierkegaard vorstellt, ist kein Spießer, denn er hat sich mit
der vollen Verantwortung als verheirateten Gerichtsrat gewählt. Er will es so.
Das wäre dann keine Phantasielosigkeit, sondern eine geistreiche Entscheidung.
Und natürlich
findet auch der Hase noch seinen Weg aus dem Topf heraus und zur lustigen
Ostereierfabrik – dieses glückliche Ende gönnen wir ihm.
Quellen: Sören Kierkegaard: Entweder/Oder II, übers. von E. Hirsch, Düsseldorf 1957, zuerst dänisch 1843.
Werbespot der LBS
Werbespot der LBS
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.