Der
Spießer ist doch erledigt. Uninteressant geworden, weil er gar nichts mehr
trifft, ins Leere spießt. Der Bürger mit Spieß, der – so passend – zum
Kampfbegriff wurde, erschreckt nun niemanden mehr. Fast zehn Jahre ist es her,
dass die LBS in einem Werbespot den Spießer, der schon immer der beste
Bausparer war, ganz unverblümt in der Werbung ansprach: Papa, wenn ich groß
bin, will ich auch mal Spießer werden. Das hat sicher hingehauen. Der Spießer
sollte raus aus seiner muffig eingerichteten Ecke, hinein ins hippe Eigenheim.
Zwei Jahre später, 2006, warb die taz
um den Neo-Spießer. Der Neo-Spießer und die taz
– das heißt, der neue Spießer ist gar keiner. Der Mainstream ist nach links hin
abgeflossen, dort wo die taz schon
ist. Natürlich: Auch ironisch geht’s mit dem Spießer, die Jugendzeitschrift Spiesser spielt damit, so wie das
Hirschgeweih aus Plüsch für die Wand. Das kapiert jeder. Das Plüschgeweih hängt
da ironisch im Zimmer herum, das schaut man Tag für Tag ironisch an und freut
sich über die eigene witzige Überlegenheit. Das ironische Eigenheim und der
ironische Bausparvertrag sind dagegen nicht so einfach vorzustellen. Ganz
ironisch im eigenen Zuhause kann man nun nicht täglich herumsitzen. Und ironisch
lässt sich der Bausparvertrag eben nicht unterschreiben. So einfach lässt er sich
dann nicht erledigen, der Spießer.
Aber
warum nochmal der Spießer? Warum über den alten Spießer bloggen, wie Brentano
oder Kierkegaard ihn sich dachten? Warum über den Spießer schreiben, als ob es
den noch gäbe wie 1968, als er, sonnabends, nur durch einen Jägerzaun von der
Gartenzwerggesellschaft getrennt, seinen Neuwagen wusch, hingebungsvoll!?
Ich
nenne drei Punkte – so viel Ordnungssinn muss (nun wieder ironisch?) sein –, warum er mich interessiert:
1)
Wenn Sören Kierkegaard über den Spießer schreibt, schreibt er darüber, was er
alles nicht ist, nicht sein will. Die Schriftsteller, die Philosophen und
Künstler, das sind die Unspießigen. Sie grenzen sich ab. Indem ich über die
Geschichte des Spießers nachdenke, erfahre ich also etwas über die Philosophie
oder Literatur.
2)
Der Spießer hat seine Zeichen: den Jägerzaun hatte er sicher einmal. Daran
konnte man ihn erkennen. Wer sein Haus mit dem Jägerzaun umzäunte, musste ein
Spießer sein. Aber um den Zaun ging es ja nie. Die Zäune waren gleichgültig.
Dahinter steht eine Geisteshaltung, so behaupteten die Anderen, die
Nicht-Spießer. Steckt hinter der Zeitung der kluge Kopf, so hinter dem
Jägerzaun eben der eingezäunte Horizont. Der enge Horizont, der ist ärgerlich
und wurde verurteilt. Aber man konnte ihn schon sehen – wie verblüffend! – wenn
man sich nur dem Hause näherte.
3)
Und dann gibt es Momente, da denke ich: scheiße, das ist ja spießig! Auch ohne
Zaun, ohne die alten Zeichen der Spießigkeit. Und ich zuckte unwillkürlich
zusammen. Warum zuckte ich? Was schreckte mich denn ab? Lässt sich denn
irgendetwas über den Spießer sagen, was seine Geisteshaltung betrifft? Gibt es
diese Haltung immer noch oder ist sie zu den Akten der Geschichte gewandert?
Wenn ich denke, wie grässlich spießig, grenze ich mich wieder ab. Weder taz noch LBS haben mich erreicht. Ich
will kein Neo-Spießer sein, bitte nicht! Und wenn der Kopf, der hinter der taz steckt, der des Neo-Spießers ist,
dann mag ich das Blatt nicht lesen. Warum denn eigentlich nicht?
Ich werde hier also über
den Spießer bloggen. Dort, wo er in der Literatur auftaucht und wo er mir sonst
begegnet. Im besten Fall: eine Wortgeschichte in Anekdoten.
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