Nun hat es die Ordnung an sich, dass sie vergeht, und man sie immer wieder schaffen muss. Einmal geschaffen, und irgendwann wächst es doch wieder in Garten und Kühlschrank zum Beispiel. Das Thema werde ich also nicht los, und niemand wird es los.
Mit dem Spießbürger
ist es dabei zunächst ganz einfach: Er möchte seine Ordnung dorthin ausdehnen,
wo sie überhaupt keine Rolle spielt, wo die Unordnung ihn nichts angeht. Der
Spießbürger ist deshalb in Ordnungsfragen meistens Nachbar. Das hatte zum
Beispiel auch Sido verstanden.
Moment mal, ich
sitze mit Laptop auf der Terrasse, mein Nachbar ruft gerade herüber: „Ach, Wiebe,
die Büsche, was haben Sie da gemacht? Die müssten Sie längst zurückschneiden.
Wie sieht das aus? Und Ihre Gehwegplatten, haben Sie das gar nicht gesehen? Das
war der Winter, aber nicht nur dieser. Aber jetzt geht das wirklich nicht mehr,
wenn Sie mich fragen. Sie müssen die anheben, das hab ich auch gemacht, einmal
anheben, ganz neu verlegen. Die Platten sind ja noch gut, aber total
verrutscht, ganz schief. Sie können auch meinen Hochdruckreiniger mal ausleihen,
dann werden die wieder ganz sauber, so wie meine. Schauen Sie? Ganz sauber.
Also, wenn Sie meine Meinung hören möchten, es verwahrlost bei Ihnen, da kann
man zugucken.“
Ich sage: „Ach
Nachbar, wenn Sie mich fragen, dann sind das meine Platten, meine verwahrloste
Plattensammlung. Und, entschuldigen Sie, die geht Sie verdammt nochmal nichts
an. Sie werden niemals einen Fuß auf meine Gehwegplatten setzen, ganz sicher
nicht, und es dürfte Ihnen also egal sein, ob man da stolpern kann, ob es
schief, gerade, Waschbeton oder Marmor ist. Und wenn Sie mir ihren
Hochdruckreiniger ausleihen, stecke ich Ihnen den, ja, genau, dorthin, und
blase den ganzen Darmtrakt sauber.“
Etwas
überreagiert vielleicht, aber das ist erfunden, natürlich. Den Nachbar gibt es
nicht. Und mich gibt es auch nicht. Jedenfalls so nicht.
Aber im
Beispiel ist es ganz einfach. Der Nachbar wird da spießig, weil er nur seine
Ordnung kennt. Und nur diese seine Ordnung ihn interessiert. Soweit so gut.
Kompliziert wird es dort, wo Menschen sich nicht so leicht aus dem Weg gehen
können, Zaun und Hecke nicht helfen. Da tobt gerade ein Diskussiönchen durch
Berlin. Hundekot auf den Straßen, zu viel Lärm, und falsch oder sogar schief
parkende Autos; schlimmer sind die Glasscherben von Bierflaschen, sogar auf
Kinderspielplätzen, Spritzbesteck von Junkies, immer auf Kinderspielplätzen, Handgranaten
aus dem Zweiten Weltkrieg im Rinnstein etc. etc. Man kennt das aus den
verruchten Städten.
Die taz hat
nun ein Pro und Contra dazu online gestellt. Da wird der Spießer wieder zum
Kampfbegriff. Wer Ordnung will, ist spießig. Was die Freunde der sauberen Stadt
höflich zurückweisen. Nun, im Grunde ist gegen ein bisschen Ordnung auf der Straße
nicht viel zu sagen. Selbst hier in der Provinz (was weiß ich von großstädtischen
Stadtmüllbergen, vor denen enddreißiger Mamis mit ihren Kinderwagen
verzweifeln, weil sie nicht hinüberkommen?), selbst hier in der Provinz nervt
mich der Hundekot auf dem Bürgersteig. Oder Parks, in die am Sonntag Morgen offenbar
fälschlich die Altglascontainer hinein entleert wurden.
Aber dafür die
Polizei einsetzen? Oder sogar Gesetze verschärfen: Kein Alkohol auf öffentlichen
Plätzen?
Und ein
anderes Argument von Sebastian Heiser in der taz ist ebenfalls nicht von der Hand zu
weisen, und es gilt, glaube ich, gerade für Berlin: Wer um Himmels Willen hat
die armen Spießer denn in diese miesen Gegenden verladen? Wo die so leiden
müssen? Und, nun ja, gerade in Berlin gilt, soweit ich weiß, nicht das: ich
hatte keine Wahl! Wer nach Berlin zog, tat das doch meistens, weil es Berlin
war. Gab es andere Gründe? Die viele Arbeit, die noch mehr als Hundekot, auf
der Straße liegt? Die Liebe vielleicht, die erhoffte. Aber vor allem: Berlin. Und
so geht dann Gentrifizierung. „Leipzig ist das bessere Berlin“ sagt Google, und
Google sollte man nicht widersprechen.
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