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Mittwoch, 11. März 2015

Günter Saalmann: Fiedlerin auf dem Dach


Klawdia Wessely steht auf dem Dach eines Hauses in Berlin, sie bewegt sich an den Rand, greift nach Ihrer Geige und beginnt zu spielen. So beginnt die Erzählung „Fiedlerin auf dem Dach“ und der Text geht nach diesem Einstieg, der die Frage offenlässt, ob Klawdia vom Dach springen wird, fünf Monate zurück und erzählt, was bis dahin geschah.

Die Geschichte greift nur wenige Jahre in die Vergangenheit zurück, in das Jahr 1999, und doch wirkt der Text wie ein Roman über längst vergangene Zeiten. Was hatten die Menschlein damals für Probleme, kannten keinen IS, nicht einmal Al-Kaida, keine Ukraine-Krise und konnten noch im Kopf den Euro in D-Mark umrechnen. Der Text wirkt fern, auch weil er eine kasachische Einwandererfamilie bei ihrer Einwanderung beobachtet und dieser Familie nahe ist, aber nicht dem Berlin der späten 1990er Jahre. Zugleich ließen sich jederzeit Linien zu unseren Problemen hinüberziehen: Einwanderung, Rechtsradikalismus, Ghetto-Bildung. Aber all das, so mein Eindruck, liegt zwar im Horizont des Textes, aber der kümmert sich nicht besonders darum, weil sich seine Hauptfiguren nicht besonders darum kümmern. Dann geht die kasachische Einwanderin eben mit dem Neo-Nazi „Odin“ ins Bett, es ist ja ihr Leben, möchte ich fast sagen.

Die Erzählung zeichnet dabei ein besonderer Hang zum Realismus aus. Realistische Literatur, die, so wollte das schon Aristoteles, „wahrscheinlich“ ist, liegt im Trend. Die meisten Romane sind realistisch erzählte Romane, sie möchten, dass der Leser die Geschichte „glaubt“, sie „abnimmt“. Ich nenne es einen besonderen Hang zum Realismus, weil Saalmann ein paar Kniffe anwendet, um seine Einwanderergeschichte besonders glaubwürdig zu machen. Er verwendet an einigen (sehr wenigen) Stellen russische oder kasachische Wendungen, ich kann das nicht prüfen, sie sind in kyrillischen Buchstaben gesetzt. Ich darf mich dabei zu denjenigen Lesern zählen, die nicht einen einzigen kyrillischen Buchstaben lesen können, das spielt aber keine Rolle, denn es geht um ein Gefühl von Fremdheit, das sich auf diese Weise vermittelt, wie in einem Film manchmal Figuren auftauchen, die eine fremde Sprache sprechen, die weder übersetzt, noch untertitelt wird. Doch im Film hat man die Bilder, hier stehen allein fremde Buchstaben auf dem Papier herum, die ich nicht kenne, zu denen ich keinen Zugang habe. Das passt nur allzu gut zu einem Roman, der eine Einwanderung behandelt.

Im Gegenzug erfahre ich immer wieder, wie Klawdia sich deutsche Worte und Redewendungen notiert, mitsamt kurzen Erläuterungen, zum Beispiel: „Der Scheiß (Männliche Form von die Scheiße)“ oder: „Zustimmung: Auf jeden, Alter! Auf gar keinen!“ Diese Notizen sind eingelegt in den Romantext, der nicht in Ich-Form erzählt, sondern einen Erzähler beherbergt, der genau weiß, wie er die Gegebenheiten arrangieren muss, um die Spannung langsam und stetig zu steigern. So weit, so gut der Roman.

„Die Fiedlerin auf dem Dach“ ist bei dem Allerkleinstverlag „Eichenspinner“ erschienen. Und mich interessiert – nicht erst seit dem Sundermeier-Interview – die Frage, was eigentlich die Texte kleiner Verlage von den Texten großer Verlage unterscheidet. Veröffentlichen die Independent-Verlage eigentlich eine „andere“ Literatur als die großen? Oder sind die nur zufällig klein geblieben, weil gerade nicht mehr Leser zur Hand waren? Bei dem klugen Blog „Aisthesis“ kommentierte ich etwas naiv vor kurzem in einem etwas anderen Zusammenhang: „Und wer zu einem guten ‚Indie-Buch‘ gegriffen hat, wird am Ende vielleicht in seinen Blog schreiben, das Buch hätte genauso gut bei Hanser verlegt werden können. Das war ja gar nicht schlechter.“

Könnte ich jetzt in meinen Blog schreiben. Die „Fiedlerin“ hätte Hanser veröffentlichen können. Eine Frage der literarischen Qualität ist das sicher nicht. Das trifft ein Problem, das mich beschäftigt. Bei manchen Verlagen, zum Beispiel Nautilus, liegt es auf der Hand, die machen was anderes, was die großen so nicht machen können. Aber konkret zu Saalmann: Warum erscheint sein Roman nicht bei Hanser oder Rowohlt? Inwiefern fällt der Text aus der Reihe? Diese Frage ist wahrscheinlich falsch gestellt und falsch gedacht, allzu schematisch, als gäbe es die Hanser-Literatur oder die Eichenspinner-Literatur. Und als ob die Größe irgendetwas aussagte.

Die Fährte ist aber nochmal richtig: Was zeichnet den Text aus? Und dann muss ich erneut die merkwürdige Erzählhaltung ansprechen, die immer ganz eng bei Ihrer Hauptfigur bleibt, in abgehackten Sätzen ihre sprunghaften Gedanken und Eindrücke nachahmt:

„Das weltberühmte Brandenburger Tor. Der Potsdamer Platz. Tausend Kräne. Die Siegessäule. Ein ruhiger Boulevard. Hartes Bremsen, eine freie Parkfläche.
„Aussteigen!“, ruft Marja Petrowna. „Kurfürstendamm rechts, zwei Stunden! Zusammenbleiben, die verehrten Damen nicht dauernd vor Staunen ‚Oi!‘ schreien, am besten, überhaupt nicht laut sprechen! Nicht in Weinen ausbrechen! Nerven behalten!““

Zugleich ist der Erzähler weit weg, als berichtete er aus großer Distanz, arrangiert er kunstvoll die Ereignisse in seinem Text. So sind der Einstieg zu verstehen, der das Ende des Buches vorwegnimmt, oder manch eine urteilende Aussage oder die Kapitelüberschriften, die andeuten, was geschehen wird. Und so folgt man Klawdia mit Vergnügen, weder unter- noch überfordert, in eine bemerkenswerte Geschichte, in der sie – und so soll das ja auch sein – der Liebe, dem Tod, dem Geld und der Kunst begegnet.

Günter Saalmann: Fiedlerin auf dem Dach, Eichenspinner 2014.

Klarstellung: Ich bin mit dem Verleger, Lutz Graner, persönlich bekannt. Den Autor, Günter Saalmann, kenne ich nicht. Das Buch habe ich im Buchhandel erworben.

Freitag, 25. April 2014

Über Judith Holofernes


Ich war auf einem Konzert. Erst meine endlosen PeterLicht-Loblieder, nun ein Holofernes-Konzert, dabei verstehe ich doch nichts davon, von Musik nicht, von Pop, von Konzerten nicht. Es geht mir mit einem Konzert wie mit Kino. Ich besuche das so selten, dass ich sowieso beeindruckt bin – echt, so groß sind die Leinwände! Wie, der Hubschrauber flog ja hinter mir! Ich bin der dankbare Teil des Publikums.

Das Konzert war also großartig! Überraschend fand ich, wie durchgeplant, wie genau arrangiert jeder Song war. Das wirkte bei den „Helden“, meiner Meinung nach, ganz anders. Damals. Was für ein großes erstes Album. Damals. Diese massive Ironie, die schon der Bandname ankündigte, und dann der erste Hit „Guten Tag, Guten Tag, ich will mein Leben zurück!“ Dieser Schlag von schräg halblinks saß. Nochmal berlinerisch zitiert von „Icke & Er“ in ihrer „Exit Strategie“. Sobald „Icke & Er“ es sangen, fiel das leicht verkrampfte von Judith Holofernes in diesem Lied auf, es kommt noch zu genervt, zwar tanzbar und flott, aber mit diesem leicht nöligen Unterton.

Nun also keine Helden mehr, sondern Judith Holofernes allein, ihr angetrauter Schlagzeuger stand im Publikum. Allerdings eine großartige Band, soweit ich das beurteilen kann, die Holofernes da begleitete, aber ich staunte ja nur, das gebe ich wieder zu bedenken, da in diesem riesigen Raum, mit, Wahnsinn!, so vielen Menschen, die alle nur Frau Holofernes hören wollten.

Vor allem ein Lied von Judith Holofernes hat im Vorfeld Aufmerksamkeit erregt, auch wenn es live nicht das stärkste Stück war, „Liebe Teil 2, jetzt erst recht“. 


Seit dieses Liedlein veröffentlicht ist, stehen angeblich in Berlin weinende Mamas dutzendweis um Judith Holofernes, sobald sie sich unter Menschen zeigt und unter diesen Menschen Mamas zugegen sind. Darüber kann man staunen! Es geht eben um der Liebe zweiten Teil, wenn Alltag und Kinder da sind – sofern sich diese beiden nicht gerade ausschließen. Das ist ein mieses Thema für ein Lied, das ist so ein Thema für die erfolgreiche Mittelklasse-Schriftstellerin, aber für ein Lied durchaus riskant. Das kann in jede Richtung übel abstürzen: Nörgelei, Kitsch, Bitterkeit. Aber es stürzt nicht, es trägt – mitten durch den Kitsch hindurch:

„Du fragst: wie hast du geschlafen
ich sag: weniger als du
Du sagst: weniger als gar nicht
aber ich hab schon die Augen zu“

Auf das Minimum reduziert und trotzdem nicht ins Beliebige und Allgemeine abgleitend, die Verse sitzen.

Die Frage des Blogs muss natürlich kommen, bevor es zu kuschelig wird: Ist das spießig geworden? Es ist älter geworden. Mit den „Helden“ konnte man noch einen Traum von jugendlicher Abgrenzung träumen. Wer in der Liebe zweiten Teil angelangt ist, der hat wohl ziemlich viel Jugendlichkeit hinter sich. Und da hilft es eben nicht, 2014 auf ein „Black Sabbath“-Konzert zu gehen. Ganz sicher nicht. Der alternde Rock, der alternde Punk, der gelebte Widerspruch. Der Traum von ewiger Jugend hängt gut sichtbar aus Mick Jaggers Mund heraus.

Aber was hat dieses Älterwerden überhaupt mit Spießigkeit zu tun? Der Zusammenhang ist zunächst ganz einfach: Um in festgefahrene Bahnen zu kommen, brauchen die meisten Menschen etwas Lebenszeit. Jugendlichkeit und Spießigkeit schließen sich fast aus, weil das jugendliche Leben oft noch ein Entwurf ist, das widerspricht der „Engherzigkeit“, den beschränkten Horizonten. Der Bau des geistigen Jägerzauns, er braucht Zeit.

Nun, Judith Holofernes ist älter geworden, nicht als einzige. Von Spießigkeit keine Spur, das Lied über die Liebe, nochmal, es hat keinen nostalgischen Zug, es nörgelt auch gar nicht, und es ist dennoch nicht „angekommen“, nicht lebensweise, ein „trotzdem“ wird aus der Jungendlichkeit mitgenommen. Wie sollte ich anders darüber schreiben? Vom Konzert noch zu begeistert, wie die da spielten! Und wie sie sang, so wunderbar heiser, wie live sich das anfühlte. Spießigkeit ausgeschlossen.

Freitag, 7. März 2014

Ordnung schaffen


Nun hat es die Ordnung an sich, dass sie vergeht, und man sie immer wieder schaffen muss. Einmal geschaffen, und irgendwann wächst es doch wieder in Garten und Kühlschrank zum Beispiel. Das Thema werde ich also nicht los, und niemand wird es los.

Mit dem Spießbürger ist es dabei zunächst ganz einfach: Er möchte seine Ordnung dorthin ausdehnen, wo sie überhaupt keine Rolle spielt, wo die Unordnung ihn nichts angeht. Der Spießbürger ist deshalb in Ordnungsfragen meistens Nachbar. Das hatte zum Beispiel auch Sido verstanden.

Moment mal, ich sitze mit Laptop auf der Terrasse, mein Nachbar ruft gerade herüber: „Ach, Wiebe, die Büsche, was haben Sie da gemacht? Die müssten Sie längst zurückschneiden. Wie sieht das aus? Und Ihre Gehwegplatten, haben Sie das gar nicht gesehen? Das war der Winter, aber nicht nur dieser. Aber jetzt geht das wirklich nicht mehr, wenn Sie mich fragen. Sie müssen die anheben, das hab ich auch gemacht, einmal anheben, ganz neu verlegen. Die Platten sind ja noch gut, aber total verrutscht, ganz schief. Sie können auch meinen Hochdruckreiniger mal ausleihen, dann werden die wieder ganz sauber, so wie meine. Schauen Sie? Ganz sauber. Also, wenn Sie meine Meinung hören möchten, es verwahrlost bei Ihnen, da kann man zugucken.“
Ich sage: „Ach Nachbar, wenn Sie mich fragen, dann sind das meine Platten, meine verwahrloste Plattensammlung. Und, entschuldigen Sie, die geht Sie verdammt nochmal nichts an. Sie werden niemals einen Fuß auf meine Gehwegplatten setzen, ganz sicher nicht, und es dürfte Ihnen also egal sein, ob man da stolpern kann, ob es schief, gerade, Waschbeton oder Marmor ist. Und wenn Sie mir ihren Hochdruckreiniger ausleihen, stecke ich Ihnen den, ja, genau, dorthin, und blase den ganzen Darmtrakt sauber.“

Etwas überreagiert vielleicht, aber das ist erfunden, natürlich. Den Nachbar gibt es nicht. Und mich gibt es auch nicht. Jedenfalls so nicht.

Aber im Beispiel ist es ganz einfach. Der Nachbar wird da spießig, weil er nur seine Ordnung kennt. Und nur diese seine Ordnung ihn interessiert. Soweit so gut. Kompliziert wird es dort, wo Menschen sich nicht so leicht aus dem Weg gehen können, Zaun und Hecke nicht helfen. Da tobt gerade ein Diskussiönchen durch Berlin. Hundekot auf den Straßen, zu viel Lärm, und falsch oder sogar schief parkende Autos; schlimmer sind die Glasscherben von Bierflaschen, sogar auf Kinderspielplätzen, Spritzbesteck von Junkies, immer auf Kinderspielplätzen, Handgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg im Rinnstein etc. etc. Man kennt das aus den verruchten Städten.

Die taz hat nun ein Pro und Contra dazu online gestellt. Da wird der Spießer wieder zum Kampfbegriff. Wer Ordnung will, ist spießig. Was die Freunde der sauberen Stadt höflich zurückweisen. Nun, im Grunde ist gegen ein bisschen Ordnung auf der Straße nicht viel zu sagen. Selbst hier in der Provinz (was weiß ich von großstädtischen Stadtmüllbergen, vor denen enddreißiger Mamis mit ihren Kinderwagen verzweifeln, weil sie nicht hinüberkommen?), selbst hier in der Provinz nervt mich der Hundekot auf dem Bürgersteig. Oder Parks, in die am Sonntag Morgen offenbar fälschlich die Altglascontainer hinein entleert wurden.

Aber dafür die Polizei einsetzen? Oder sogar Gesetze verschärfen: Kein Alkohol auf öffentlichen Plätzen?

Und ein anderes Argument von Sebastian Heiser in der taz ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen, und es gilt, glaube ich, gerade für Berlin: Wer um Himmels Willen hat die armen Spießer denn in diese miesen Gegenden verladen? Wo die so leiden müssen? Und, nun ja, gerade in Berlin gilt, soweit ich weiß, nicht das: ich hatte keine Wahl! Wer nach Berlin zog, tat das doch meistens, weil es Berlin war. Gab es andere Gründe? Die viele Arbeit, die noch mehr als Hundekot, auf der Straße liegt? Die Liebe vielleicht, die erhoffte. Aber vor allem: Berlin. Und so geht dann Gentrifizierung. „Leipzig ist das bessere Berlin“ sagt Google, und Google sollte man nicht widersprechen.