Freitag, 10. Januar 2014

Urlaubsplanung und die Touristifizierung des Lebens


Die Temperaturen sind heute unter 10° Celsius gefallen, ein deutliches Zeichen. Der Frühling scheint zu Ende zu gehen, der Winter kommt nach Deutschland. Da fange ich an, über Urlaub nachzudenken. An Urlaub denken, hilft. Seien es Erinnerungen:

Provence ohne Lavendelfeld: Ein Blick auf die Verdonschlucht.

Oder Pläne. Nun habe ich schon über Urlaub und Spießigkeit hier im Blog geschrieben. Aber Nassim N. Taleb und seine Antifragilität haben mich noch einmal zum Nachdenken gebracht. Was ich nur vorsichtig andeutete, nämlich die perfekte Planung eines Urlaubs, die alles in den Griff bekommen will, die das Fremde ausschaltet – dass das in die Nähe der Spießigkeit gerät, das nennt Taleb die „Touristifizierung“, und er urteilt nicht so milde. Taleb interessiert sich nicht für Spießigkeit, er schreibt über Fragilisten. Aber sein Fragilist ist ein guter Freund  meines Spießers.

Der Tourist will wissen, was ihn erwartet. Wie warm ist das Wasser des Pools? Wohnt eine Familie mit Kindern im Zimmer über mir? Und wie sind die erzogen? Fährt ein Bus vom Zwinger zur Semperoper? Wo bekomme ich ein Schweineschnitzel? Und wie bestelle ich das eigentlich auf marokkanisch? Die technischen Möglichkeiten erlauben es, alles vorher in Erfahrung zu bringen. Wer sich heute wundert, dass sein Hotel an einer Schnellstraße liegt und dass 500 Meter zum Strand bedeuten, dass man diese Straße überqueren muss, der hat sich schlecht informiert. Google-Maps, holidaycheck, Foren oder Fotostrecken – da weiß ich sogar schon, was ich auf welche Weise fotografieren kann. Mein Bildchen oben findet sich selbstverständlich in unzähligen Varianten im Internet. Hätte ich mir also sparen können, das auch noch mal abzulichten.

Touristifizierung, so Taleb, bedeutet, das Ungewisse, das Zufällige aus dem Leben zu entfernen. Der Tourist plant seinen Urlaub akribisch durch: welche Sehenswürdigkeiten, wie viele Strand-Tage, welche Restaurants: das wird, so weit es irgendwie geht, im Vorfeld festgelegt. Anders geht der Flaneur durch die Straßen, der kein Ziel hat, sondern sich von den Möglichkeiten treiben lässt, der auf Entdeckungen reagieren möchte.

Die Verdon-Schlucht war für den Frankreich-Urlaub nicht vorgesehen gewesen. Natürlich, man flaniert dort nicht einfach vom Westen Deutschlands aus hin. Es war eine Mischung aus Planung und einer Möglichkeit, die sich ergab. Geplant waren einige Tage in der Schlucht der Dordogne auf dem Rückweg vom Süden nach Hause. Die Wettervorhersage war für das gesamte Zentralmassiv aber katastrophal. Für die Verdon-Schlucht war sie gut. Das ist Planung, Touristifizierung. Aber einen Reiseführer hatten wir nicht dafür, kein Navi, keine Karte für diese Gegend, nur eine Europa-Karte im Maßstab von ungefähr 1:2.000.000. Damit die richtige Autobahnausfahrt abzuschätzen, hat mit Planung dann wenig zu tun.

Taleb beobachtet eine überall um sich greifende Touristifizierung; Versuche, das Leben vorhersehbar zu machen. Ein System, das auf solchen Planungen basiert, wird allerdings fragil. Wer jedes Foto, das er machen wird, im Internet schon gesehen hat, dem bleibt nur, sich über dumme Zufälle zu ärgern. Denn die schlecht erzogenen Kinder im Zimmer über mir – sie sind im Vorfeld schwierig auszuschließen.

Aber auch das gesamte System wird damit anfällig. Der Urlaub gelingt, wenn die Planung aufgeht. Er kann aber allzu leicht schiefgehen, denn nicht einmal auf dem Kreuzfahrtschiff ist jeder Zufall ausgeschaltet. Und da muss man gar nicht eine Kabine auf der Costa Concordia gebucht haben, da reicht schon ein geplatztes Kapitänsdinner.

Schnee auf Gran Canaria, wie ich gerade lese. Dann wird der Winter nun wohl auch nach Deutschland kommen. Ach, schön war es an der Verdon-Schlucht.

Das Bild ist vermutlich ohne Blendenreflexe und mit besser gewähltem Ausschnitt im Netz zu finden: See von Sainte-Croix vor der Schlucht.

Quellen: Nassim N. Taleb: Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, München: Knaus 2013.

2 Kommentare:

  1. Ohne Planung kann ich nicht mal aufs Klo gehen.

    Hartmut Meier

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  2. Das ist ja bedauerlich, andererseits, wenn ich den Kommentar ernst nehmen soll, natürlich nicht gemeint. Die Planung, die auch das Unwägbare in den Griff bekommen will, die den Zufall abweist. Das meinte ich.

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