Das neue Jahr ist schon wieder sechs Tage alt. Vor einer Woche deckte Deutschland sich mit Sprengkörpern ein: Bombastica (Höllensound), Cheops Knall der Pyramiden Knaller, Boris 36-Schuss-Crackling-Batterie, Draconica (Hero, Terminator, Thors Hammer) oder der Knallsack mit Pfiff.
Natürlich,
eine Grünenabgeordnete findet sich immer, die der taz erklärt, dass nun endlich
dieses Geknalle aufzuhören habe. Aber nicht mehr, damit Brot statt Böller auf
den Tisch kommt, sondern damit endlich dieser verdammte Lärm aufhört. Auch
Haustiere wollen einen angenehmen Jahreswechsel begehen.
Eine Lösung
hatte Frau Gebel auch schon in der Tasche: Geböllert werden darf nur noch auf
großen Plätzen und Kreuzungen. Eine großartige Idee! Man verlagere einfach all
die Sprengkörper auf die Stadtplätze! Vielleicht zunächst nur einmal in
Gedanken. Das ist lustig genug. Was das für ein herrliches Gedränge gibt! Wie
laut das wäre! Was bislang verteilt über viele Straßen viel zu läppisch
daherkommt: Das bekommt eine ganz andere Dynamik, eine ganz andere, gebündelte
Feuerkraft. Selbst in Kleinstädten dürfte das für das jahreswechsel-gerechte
Bürgerkriegsgefühl sorgen. Danke, Frau Gebel.
Ganz sicher
ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Böller-Verletzung auf diesen Plätzen
steigt. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines solchen Unglücks ist, konnte ich
nicht recherchieren. Sie dürfte steigen, wenn man die Einkäufe vorm
Jahreswechsel in Tschechien gemacht hat. Sie dürfte steigen, wenn man am
Silvesterabend gegen 12 Uhr das Haus verlässt. Sie dürfte auch steigen, wenn
eine brennende Wunderkerze in die Einkaufstüte mit den Böllern hineinfällt.
Das
Wahrscheinliche, so mutmaßte schon Kierkegaard, ist etwas für den Spießbürger.
Nun bin ich in dem momentan stark diskutierten Buch „Antifragilität“ von Nassim
Nicholas Taleb auf eine aufschlussreiche Parallele gestoßen. Taleb entwickelt
dort die Idee der Antifragilität. Das Antifragile wäre etwas, das von den Zufällen,
der Unbeständigkeit profitiert. Das Fragile zerbricht, wenn es hinunterfällt.
Das Robuste bleibt ganz. Das Antifragile wird unter Umständen sogar besser.
Überall beobachtet Taleb solche Antifragilitäten: Ein kleiner Schnupfen im
Spätherbst hilft im Winter, wenn die Grippewelle kommt.
Taleb schreibt
in seinem Buch auch über den sogenannten Fragilisten, und der kommt dem
Spießer, wie Kierkegaard ihn sieht, in mancher Hinsicht sehr nahe. Der Fragilist,
so Taleb, ist blind für das Undurchdringliche, das Geheimnisvolle. Er schreibt
sich für die Welt eine Gebrauchsanweisung, und glaubt, die Welt funktioniere
danach. Er lebt in der Welt des Wahrscheinlichen. Der große Irrtum, nach Taleb,
der Fragilisten ist, dass eben auch das Unwahrscheinliche eintreten kann. So
auch bei Kierkegaard, der vom Spießer sagt, er habe keine Phantasie.
Der Fragilist
verlässt sich auf seine Wahrscheinlichkeiten, auf das, was er sehen und messen kann.
Bei einem Hochwasser steigt das Wasser bis auf die Straße, aber nicht bis zu
meinem Haus. Bis die „Jahrhundertflut“ kam. Das Unvorhergesehene. Und dann
wieder: Die Jahrhundertflut hatten wir in diesem Jahrhundert bereits. Das ist ja
unwahrscheinlich, dass die zweimal in einem Jahrhundert auftritt, so
schnell geht das nicht.
Um im Beispiel
zu bleiben: Der Fragilist würde eine Mauer bauen, so hoch, dass das Wasser ihn
nicht erreichen kann – wahrscheinlich nicht erreichen kann. Antifragil wären eher
Flussverlangsamungen, große Wiesen, die überflutet werden etc.
Taleb, und das
macht ihn hier interessant, liefert eine Begründung, warum Spießertum – naja,
also Fragilismus – gefährlich werden kann. Kleine messbare Erfolge, nicht
absehbare Nebenwirkungen.
Tja, Frau
Gebel, auch wenn Sie sagen, das sei ja kein neues Verbieten-Wollen, sondern im
Gegenteil: Freiheit für Lärmempfindliche und Haustiere. Es bleibt dann beides.
Der Verdacht einer Spießigkeit und der Verdacht unvorhersehbarer Nebenwirkungen
– bei kleinen messbaren Erfolgen, wenn in Ihrer Nebenstraße, endlich!, Ruhe
ist.
Quellen: Nassim N. Taleb: Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen, München: Knaus 2013.
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