Ulrich Tukur
wird teilweise Selbstdarstellung vorgeworfen, was einen Schauspieler, der doch
alle möglichen Figuren darstellen soll, dann beleidigen könnte. Er spiele immer
nur sich selbst, konnte man lesen. Er stelle sich immerzu in den Mittelpunkt.
Nun, es ließe sich auch sagen, Tukur besitzt nun mal eine so ungeheure Präsenz,
das neben ihm kaum etwas ins Blickfeld gerät. Wenn Tukur auftritt, sieht man
nur noch ihn. Im Tatort vom Sonntag gab es einen Gegenspieler, der mithalten
konnte. Es war der Teufel selbst, der die zweite Hauptrolle im Tatort
übernehmen durfte.
Wer heute die
Kritiken durchgeht, findet vieles, was diesen Tatort so besonders gemacht hat:
Diese Verdichtung der großen Schießerei zu Gemälden; der shakespearesche
Sprecher, der noch weiterreden durfte, als er längst tot war; die
Wild-West-Szene; die Tarantino-Zitate; Albernheiten, wie die Drinks für das
SEK; die Musik etc. Das hatte mit der Tatort-Reihe, überhaupt mit deutscher
Krimi-Tradition, höchstens in Anspielungen noch zu tun. Huch, das war ja Kunst,
was da lief.
Und vor allem
der Teufel selbst, der da spielte, sich also auch bloß selbst spielen musste,
der in anderen Filmen als Schauspieler Ulrich Matthes im Abspann geführt wird.
Glaubwürdig war das alles nicht, aber um Glaubwürdigkeit hat sich der Teufel
nie gekümmert.
Der Teufel,
der natürlich nett, scharfsinnig und witzig sein kann, gab sich deutlich zu
erkennen, als er über Gottes ersten Zaubertrick sprach: Der Trick mit dem
Licht, als der kleine rote Laserpunkt des Scharfschützen langsam über den Boden
wanderte und erst am Herzen des nächsten Opfers anhielt. Das war einer von
sehr vielen ausgeworfenen Ankern in die Kunst- und Kulturgeschichte,
Shakespeare, Genesis, Beethoven. Aber ist das Ganze bedeutsam oder nur ein –
sehr gut gemachtes – Spiel mit Zitaten. Lässt sich da ein Sinn herausklopfen?
Es ging um
Rache. Rache ist also, das machten über vierzig Tote klar, keine annehmbare
Lösung. Und so sagte es zum Ende auch der freundliche Sprecher. Aber um die
Psychologie der Rache ging es ganz und gar nicht. Vollkommen an den Haaren
herbeigezogen, wie in den wenigen kritischen Besprechungen des Films bemängelt
wurde. Da kommt dieser Kerl nach dreißig Jahren zurück nach Deutschland und hat
nichts anderes im Sinn, als sich an einem Kommissar zu rächen? Die Rache war
allein ästhetisch begründet, und sie machte ja großen Spaß. Wenn ein Schüler
„das gibt Rache“ schreit, wird man kaum darauf verfallen, ihm diesen Tatort als
Gegenmittel anzubieten: Da siehst du, wohin Rache führt, und jetzt schmeiß die
Machete in die Spree.
Das zielt
gerade an den spannenden (ästhetischen) Fragen vorbei, die an einem solchen
Tatort sich diskutieren ließen. Nämlich, warum kippt das hier in so einen Spaß
um? Das fällt gerade bei der Tatort-Reihe so massiv auf, weil sie ja sonst oft
– ein bisschen – sozialkritisch daherkommt. Hier bedauert man die Toten nicht,
ich habe mich jedenfalls diebisch gefreut, als dieser dumpfe Schieß-Trupp die
Pillen einwarf und es richtig losgehen sollte. Dieser „Krimi“ ist eher
„Krimi-Spielen“. So wie Moral und Sozialkritik eben nicht am Platz sind, wenn
Kinder Cowboy spielen und sich gegenseitig "totschießen". Das wirkt doch meistens
pedantisch, neu-spießig, wenn die Eltern sagen, nein, nicht totschießen, nur
ein bisschen verletztschießen, ja?! Allerdings, die Übergänge sind fließend vom
Spaß zum Betroffensein, wie der letzte Tote des Tatorts deutlich machte. Das
Spiel ist nicht in jedem Fall unschuldig, gespielte Rache handelt eben doch von
Rache. Oder moralisch gewendet: Nicht alles, was sich wie ein Spiel anfühlt,
hat mit Moral überhaupt nichts mehr zu tun.
Woran es dann
liegt, ob das Spiel unschuldig ist oder nicht und bis zu welchem Grad? Und wann
kommt die Moral ins Spiel? Bei diesem Tatort lag es – wenn man mir da überhaupt
folgen will – an der ganz deutlich hergestellten Empathie des Zuschauers. Der
letzte Tote wurde zuvor zum Mitfühlen angeboten.
Wenn also der
kleine Jakob seinem Freund Peter mit der Spielzeugpistole vor die Brust schießt
und „du bist jetzt echt tot“ ruft, aber im nächsten Moment seinen verletzten
Teddy mit besorgtem Gesicht zu Tierdoktor Mama bringt – dann scheint mir alles
in Ordnung zu sein.
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