Dienstag, 9. September 2014

AfD-Chef Bernd Lucke: Nur ein Spießer?


Verschiedenen Parteien, die sich im Laufe der letzten 50 Jahre neu gründeten, wurde einmal Extremismus vorgeworfen. Den Grünen natürlich. Eine Partei, die heute ihre Wahlslogans auf Plakate der LBS drucken könnte, galt einmal als extrem. Zu links, zu alternativ: Hausbesetzer statt Häuslebauer. So ein Extremismusvorwurf ist ärgerlich, aber, naja, auch ziemlich cool. Die Partei der Grünen hat mittlerweile den Lebenslauf eines 68ers. Idealistisch in der Jugend, dann häuslich geworden, beim Daimler angefangen und jetzt schaut man auf diese Jugend zurück, schämt sich öffentlich ein bisschen, aber klopft sich innerparteilich auf die Schulter. Wir wollten mal was. Echt.

Ein Extremismusvorwurf gegen die AfD ist gar nicht cool. Denn eine konservative Partei, der man Extremismus vorwirft, kann nur rechtsradikal sein. Das ist blöd, saublöd. Von Matthias Matussek ist in der WELT gerade ein bemerkenswertes Porträt von Bernd Lucke erschienen. Matussek übertreibt gerne, er provoziert auch mal. In seinem Lucke-Porträt provoziert er bis in die Details, wenn er behauptet, Bernd Lucke sehe aus wie schlappe 34 Jahre alt. Das ist Unsinn, aber vielleicht will Matussek den Männern knapp über 30 nur den Spiegel vorhalten. So alt seht ihr aus. Bernd Lucke – das seid ihr.

Bernd Lucke: Wird ständig auf 34 Jahre geschätzt. Bild von WDKrause auf Wikimedia.

Ich messe dieser ganz und gar schlechten Einschätzung Matusseks zu viel Bedeutung bei. Aber es sind die Details die Matusseks Text so spannend machen. Er schreibt ein Porträt, das die Vorwürfe des Rechtsradikalismus präsent hält und sie beiläufig entkräftet. Ein Betrunkener, Mettbrötchen essend, ruft zu der Gruppe um Lucke und Matussek, die Wahlkampf in Thüringen betreibt, sie seien alle Nazis. Matussek, nicht Lucke, antwortet, wo denn Nazis seien, da stehe doch AfD auf den Plakaten. Also: Nur die Betrunkenen rufen „Nazis!“.

Lucke, so wird gezeigt, hat mit Rechtsradikalismus nichts am Hut, er ist bloß der letzte echte Spießbürger. Und Spießbürger, das soll in Zeiten von Merkels CDU harmlos klingen. Spießer sind etwas zu langweilig, etwas zu ernsthaft, zu genau, der ist sogar Wirtschaftswissenschaftler, dieser Lucke, da rechnet der immer ganz genau nach, der rechnet sogar noch alles in Mark um. Wirtschaftswissenschaftler sind allerdings nicht unbedingt harmlos, wie Nassim N. Taleb dargelegt hat, und Spießbürger auch nicht.

„Entartet“ habe Lucke einmal das parlamentarische System genannt. Matussek fällt über diese Äußerung Luckes her – allerdings ironisch. „Entartet. Ertappt.“ Ach, was soll es auch, sind doch bloß Worte, die rutschen raus, kannste gar nicht bremsen. Das ist wie über Eis laufen oder auf ne Bananenschale treten.

Und es stimmt. Es ist eine ungeschickte Lappalie. Gibt schlimmeres, wie zum Beispiel: Volker Kauder, ein anderer, der vielleicht auch bloß Spießbürger sein will, sagte gerade angesichts dessen, dass zahlreiche Flüchtlinge nach Europa und also auch nach Deutschland zu fliehen versuchen: „Ja, ich finde schon, dass wir weitere Flüchtlinge aufnehmen müssen, wenn sie es bis zu uns schaffen.“ Wenn sie es bis zu uns schaffen. Ein harmloser Satz, da zuckt der Spießbürger nicht einmal mit der Wimper. Solln wir se etwa noch first-class rüberfliegen, die Flüchtlinge, oder was?!

Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Matussek, aber da möchte ich mich manchmal gerne betrinken, Mettbrötchen essen und „Nazis!“ rufen. 

Das Zitat ist noch in der ZDF-Mediathek zu hören. Heute Journal, Sendung vom 7. September, etwa bei Minute 10:30.

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