Verschiedenen Parteien, die sich im Laufe der letzten 50 Jahre neu gründeten, wurde einmal Extremismus vorgeworfen. Den Grünen natürlich. Eine Partei, die heute ihre Wahlslogans auf Plakate der LBS drucken könnte, galt einmal als extrem. Zu links, zu alternativ: Hausbesetzer statt Häuslebauer. So ein Extremismusvorwurf ist ärgerlich, aber, naja, auch ziemlich cool. Die Partei der Grünen hat mittlerweile den Lebenslauf eines 68ers. Idealistisch in der Jugend, dann häuslich geworden, beim Daimler angefangen und jetzt schaut man auf diese Jugend zurück, schämt sich öffentlich ein bisschen, aber klopft sich innerparteilich auf die Schulter. Wir wollten mal was. Echt.
Ein
Extremismusvorwurf gegen die AfD ist gar nicht cool. Denn eine konservative
Partei, der man Extremismus vorwirft, kann nur rechtsradikal sein. Das ist
blöd, saublöd. Von Matthias Matussek ist in der WELT gerade ein bemerkenswertes
Porträt von Bernd Lucke erschienen. Matussek übertreibt gerne, er provoziert
auch mal. In seinem Lucke-Porträt provoziert er bis in die Details, wenn er
behauptet, Bernd Lucke sehe aus wie schlappe 34 Jahre alt. Das ist Unsinn, aber
vielleicht will Matussek den Männern knapp über 30 nur den Spiegel vorhalten.
So alt seht ihr aus. Bernd Lucke – das seid ihr.
Ich messe
dieser ganz und gar schlechten Einschätzung Matusseks zu viel Bedeutung bei.
Aber es sind die Details die Matusseks Text so spannend machen. Er schreibt ein
Porträt, das die Vorwürfe des Rechtsradikalismus präsent hält und sie beiläufig
entkräftet. Ein Betrunkener, Mettbrötchen essend, ruft zu der Gruppe um Lucke
und Matussek, die Wahlkampf in Thüringen betreibt, sie seien alle Nazis.
Matussek, nicht Lucke, antwortet, wo denn Nazis seien, da stehe doch AfD auf
den Plakaten. Also: Nur die Betrunkenen rufen „Nazis!“.
Lucke, so wird
gezeigt, hat mit Rechtsradikalismus nichts am Hut, er ist bloß der letzte echte
Spießbürger. Und Spießbürger, das soll in Zeiten von Merkels CDU harmlos
klingen. Spießer sind etwas zu langweilig, etwas zu ernsthaft, zu genau, der
ist sogar Wirtschaftswissenschaftler, dieser Lucke, da rechnet der immer ganz
genau nach, der rechnet sogar noch alles in Mark um. Wirtschaftswissenschaftler
sind allerdings nicht unbedingt harmlos, wie Nassim N. Taleb dargelegt hat, und
Spießbürger auch nicht.
„Entartet“
habe Lucke einmal das parlamentarische System genannt. Matussek fällt über
diese Äußerung Luckes her – allerdings ironisch. „Entartet. Ertappt.“ Ach, was
soll es auch, sind doch bloß Worte, die rutschen raus, kannste gar nicht
bremsen. Das ist wie über Eis laufen oder auf ne Bananenschale treten.
Und es stimmt.
Es ist eine ungeschickte Lappalie. Gibt schlimmeres, wie zum Beispiel: Volker
Kauder, ein anderer, der vielleicht auch bloß Spießbürger sein will, sagte
gerade angesichts dessen, dass zahlreiche Flüchtlinge nach Europa und also auch
nach Deutschland zu fliehen versuchen: „Ja, ich finde schon, dass wir weitere
Flüchtlinge aufnehmen müssen, wenn sie es bis zu uns schaffen.“ Wenn sie es bis
zu uns schaffen. Ein harmloser Satz, da zuckt der Spießbürger nicht einmal mit
der Wimper. Solln wir se etwa noch first-class rüberfliegen, die Flüchtlinge,
oder was?!
Nehmen Sie es
mir nicht übel, Herr Matussek, aber da möchte ich mich manchmal gerne betrinken,
Mettbrötchen essen und „Nazis!“ rufen.
Das Zitat ist noch in der ZDF-Mediathek zu hören. Heute Journal, Sendung vom 7. September, etwa bei Minute 10:30.
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