Die Fußballweltmeisterschaft läuft. Brasilien ist dran, und mehr oder weniger brasilianisch ist auch das Motto – irgendwas mit „Rhythm“. Es ist die vorerst letzte WM, die möglicherweise ohne Bestechung ausgekommen ist, jedenfalls ohne Bestechungsskandal. Die öffentlich-rechtlichen Sender können sich also ganz dem Fußball widmen – natürlich, sie werden, wie immer, auch ihrem Bildungsauftrag gerecht, sie zeigen zwischen zwei Spielen ganz genau wie es in diesen Slums zugeht und wie nur „der Fußball“ den halbgescheiterten Drogendealern noch Hoffnung geben kann.
Noch lieber
sehe ich, wie Müller-Hohenstein die letzten Eindrücke vom Zustand der deutschen
Mannschaft vermittelt. Ich will wissen, welche Muskeln gerade zumachen und wie
es um sämtliche Adduktoren steht. Gerne schaue ich mir das Quartier an, wo sie
nun für die Zeit der WM leben, die Deutschen. Gerne werfe ich einen Blick auf
den Strand, wo Löw ein Dauerläufchen macht oder Schweinsteiger vor der Kamera
den brasilianischen „Rhythm“ einübt. Ach, dieses Quartier. Die haben es ja gut,
diese Deutschen da in Brasilien. Da lässt es sich aushalten, so möchte ich mal
weggesperrt sein. Meinetwegen auch in Gesellschaft der deutschen
Nationalmannschaft.
Der Zweck
dieser Einquartierung ist klar: Alles wird dem weltmeisterlichen Ziele
untergeordnet, nichts soll ablenken, bis der Pokal den deutschen Händen
übergeben worden ist. Indem die Mannschaft auf dieses Quartier beschränkt ist,
soll sich ein „Gemeinschaftsgefühl“ besser einstellen. Und ein
Gemeinschaftsgefühl, das abends am Pool sich einstellt, das stellt sich dann auf
dem Fußballplatz ein, was wiederum dazu führt, dass eine „geschlossene
Mannschaftsleistung“ den „brasilianischen Einzelkönnern“ den Garaus macht. So
einfach ist das!
Wenn das so
einfach ist, wäre es dann nicht reizvoll, diese zeitweise Einquartierung ein
wenig auszuweiten. Sagen wir mal auf unbestimmte Zeit für eine gesamte
Gesellschaft? Ernst Nowak spielt in seinem – lesenswerten – Roman „Die
Unterkunft“ aus den 70ern eine solche Idee durch. Es ist kein realistischer
Roman, auch kein Harry-Potter-Realismus, der eine geschlossene durchdachte Welt
vorstellt. Es ist eine arge Konstruktion, die Nowak da zusammenzimmert.
Der Erzähler
beschreibt gleich zu Beginn des Romans die Unterkunft, die von einer hohen
Mauer umschlossen ist. Es ist deshalb fast unmöglich aus der Unterkunft hinaus-
oder in sie hineinzugelangen. Die Mauer ist so selbstverständlich da, dass sie
eigentlich nicht mehr auffällt. Am Ende des Romans weiß der Erzähler nichts mehr
von ihr zu berichten, er hat sie vergessen.
Das ist, wie
angedeutet, nicht gerade wahrscheinlich. Wieso sollte er die Mauer vergessen
haben, wie sollte er sie bezweifeln können? Das kann man ja nur
psychologisieren, sonst versteht man das nicht, wie Oliver Kahn nach dem Biss
von Suarez erklärte. Hier also: Das vollkommen Selbstverständliche entgleitet
der Aufmerksamkeit.
Dabei ist der
Erzähler in Nowaks Roman ein ständig beobachtender und reflektierender Mensch.
Doch seine Reflexionen überschreiten niemals diese Grenze der Unterkunft, sie wollen
alles innerhalb der Logik dieser Unterkunft und ihrer Unterkunftsleitung
erklären. Das wirkt beklemmend, denn es ist eine Konstruktion, die an historische
totalitäre Systeme erinnert. Das System ist dabei so sehr verinnerlicht, dass
es ein „Außen“ nicht mehr gibt. Alle Kritik, und die formuliert der Erzähler
reichlich, verbleibt innerhalb dieses Systems. Mehr noch, sie rechtfertigt
letztlich das Leben innerhalb der Unterkunftsmauern.
Das ganze
funktioniert dabei recht gut. Das System ist stabil, gute Voraussetzungen für
die deutsche Mannschaft also. Was hat nun Ernst Nowaks Roman mit Spießbürgerlichkeit
zu tun? Die Lektüre nährt einen Verdacht: Der Roman ist ein ins Totale vergrößertes
System des Spießbürgers. Es fehlt die Phantasie, es siegt die Ordnung:
„Die Ordnung,
hat der Verantwortliche gesagt, soll sein wie ein guter Fremder, dem ein
kleiner Hund erst einmal böse kläffend entgegenspringt, vor dem der Hund erst,
ohne ihm zu nahe zu kommen, hochspringt, zurückweicht, hochspringt, den der
Hund aber dann bald schnuppernd umschleicht, durch Wedeln, kurzes Vorspringen,
sich Ducken, kurzes Zurückspringen und freundliches Hinschnappen auf sich
aufmerksam machen will und schließlich, wie selbstverständlich, begleitet.“
Quelle: Ernst Nowak: Die Unterkunft, Salzburg: Residenz Verlag 1975.
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