Ernst Nowaks kleiner Roman, den ich in der letzten Woche kurz vorgestellt habe, ist weithin unbekannt. Zwar gab es eine Taschenbuchausgabe bei dtv, aber sie lief vermutlich nicht allzu gut. Eine zweite Auflage gab es wohl nicht. Und mittlerweile sind Exemplare antiquarisch für einen Cent zu haben. Ein Sammlerstück, das steht fest, ist das Buch also nicht geworden. Bei Amazon gibt es keine einzige Kundenbewertung. Und es gibt, soweit ich gesehen habe, nicht eine einzige Dissertation zum Text.
Das hätte
anders kommen können. Dem Buch fehlt nicht viel, und es hätte eine eifrige
Lehrerschaft zur Schullektüre machen können – die Sexualität, die Nowak vielleicht
etwas zu direkt beschreibt, könnte das verhindert haben. Oder jemand hätte auf
die Idee kommen können, das Buch im Zuge der literarischen Kafka-Nachfahren ins
Gespräch zu bringen. Natürlich, über die Qualität des Romans ließe sich
streiten – tut aber niemand. Als einziger Kritiker weit und breit behaupte ich
nun, der Roman ist gut.
Es geht um
Macht: Macht und Ordnung, Macht und Sex, Macht und Freiheit, Macht und ihre
Begründung. Vielleicht erging es Nowak mit diesem Thema ähnlich wie heute meinem „Spießer“.
Das fiel damals, 1975, schon aus der Zeit. War ja schon eine freie Gesellschaft
damals. Macht und Freiheit – längst geklärt 1968. Und heute, seit an
Universitäten Gleichstellungsbeauftragte regieren, (siehe dazu der aktuelle Martenstein in der ZEIT) hat sich das mit Macht und Sexualität auch erledigt. Ja, kleine
Korrekturmaßnahmen sollten hier und dort – punktuell, wie der Politiker sagt – vorgenommen
werden, aber das Große und Ganze ist frei. Das bestätigt sogar der
Bundespräsident. Nur hin und wieder ein militärischer Einsatz, damit das so
bleibt, mit der Freiheit.
Der Roman von
Ernst Nowak hat keine richtigen Charaktere, er stellt nur Typen vor. Den Aufpasser
beispielsweise oder den Vorsitzenden. Es sind Hierarchien, die im Zentrum
stehen. Der Ich-Erzähler, der ständig über alles und jeden nachdenkt, schreibt
über die Aufpasser und Anschaffer:
„Wir sehen
einen dieser Anschaffer und Aufpasser und denken sofort an seine Anmaßung. Wir
sehen ihn, und es ist, als müßten wir das Gesicht verziehen wie vor einem
angedrohten Hieb. Unser Verhältnis zu den Anschaffern und Aufpassern ist von
Grund auf und unabänderlich schlecht, aber nicht darum, weil sie an uns
Weisungen weitergeben, denen wir gehorchen, sondern weil sie eigentlich zu uns
gehören.“
Die Aufpasser
sind der Gruppe, zu der der Ich-Erzähler gehört, übergeordnet; Machtstrukturen. Doch sie sind zu nahe, als dass diese Macht akzeptiert werden könnte:
„Aber die
Anschaffer und Aufpasser sind noch greifbar nahe. Sie sind noch
unseresgleichen. Ein Anschaffer und Aufpasser bleibt einer von uns. Immer
erinnert er uns daran, daß er aus unserem Kreis hinaus gewollt, uns, gleich
wie, überholt und verlassen hat. […] Er ist ein Verräter. Sein Ehrgeiz ist
keine Entschuldigung. Wer ein kleiner Herr werden will, um uns gegenüber zu
stehen und uns anzuschaffen und auf uns aufzupassen, wird bald erkannt. Sein
Wunsch ist bald zu erraten, denn bald ist er ihm vom Gesicht abzulesen. Wer
sich verraten hat, der ist schon abgeschrieben. Rasch beginnen wir ihn zu
hassen, ihm Widerstand entgegenzusetzen, ihn boshaft zu behindern."
Die Macht, die
nicht anerkannt wird, ist hier problematisch geworden. Doch nicht die allzu große
Macht wird für den Erzähler problematisch, sondern die Macht, die nicht
vollkommen genug ist:
„Wir wissen
ja, woher er kommt, wir kennen den Boden, aus dem er kommt (während die Herren
der Unterkunftsleitung keinen sichtbaren Zusammenhang mehr mit dem Boden
haben), und dieses Wissen wird für immer bleiben. Einer, den die
Unterkunftsleitung als Anschaffer und Aufpasser anerkennt, ist, als Preis für
seine Annäherung, so gut wie verurteilt. Er wird nur wieder freikommen, wenn er
mit höchster Anstrengung und höchstem Einsatz den Abstand zu uns so rasch zu
vergrößern mag, daß schließlich doch der Zusammenhang verloren geht.“
Wenn der Herrschende
weit über dem Beherrschten steht, dann ist hier in der Unterkunft die Welt in
Ordnung. Dort, wo die Macht sichtbar wird, das Machtspiel vor Augen tritt, dort
beginnt der Hass.
Das hat sich
alles ja längst erledigt mit dieser Macht. Das hatte sich schon 1975 erledigt,
als Nowaks Roman erschien. Frei sind wir und nicht beherrscht. Als ginge es
irgendwo um die Rechtfertigung von Macht, um die Rechtfertigung der
Herrschenden. Wie anders unsere Welt, da sehe ich gerade, dass im ZDF „Deutschlands
Beste“ läuft. Und Angela Merkel gewinnt, sie ist Deutschlands Beste. Das ZDF
zeigt ein kleines Promotion-Video dazu, ist ja auch sympathisch die Frau, sieht
man da gleich. Wir werden von der Besten regiert. Das ist vernünftig, hat mit
Machtspielen deshalb gar nichts zu tun. Ausgeschlossen.
Oder Nowak
lesen.
Quelle: Ernst Nowak: Die Unterkunft, Salzburg: Residenz Verlag 1975, S. 73ff.
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