Als Kind liebte ich die Tage vor Weihnachten. Die Wünsche wurden aus Katalogen und Zeitschriften herausgeschnitten, auf einem Papier sorgfältig collagiert und dieser bei den Eltern, mit freundlicher Bitte um Weitergabe an den Weihnachtsmann, eingereicht. Stilechte Wünsche selbstverständlich: Ein Abonnement des YPS-Magazins, eine Darda-Bahn, He-Man-Figuren und ein Kettcar. Nein, Unsinn, auch damals vor allem LEGO oder irgendetwas, das leuchtet, knattert und einer Waffe ähnlich sieht.
Diese Weihnachtswünsche
waren jedenfalls äußerst lehrreich. Man lernte auszuwählen, zu warten, sich zu
sehnen und schließlich die Enttäuschung. Die offensichtliche Enttäuschung, das
Gewünschte nicht zu bekommen, ist dabei leicht zu verstehen und zu akzeptieren.
Viel schwieriger, wenn der Wunsch in Erfüllung ging und das gewünschte
LEGO-Piratenschiff genauso war, wie im Katalog beschrieben, nur an die
Phantasie, die wochenlang schon Kaperfahrten unternommen hatte, reichte es
leider nicht heran. Die Wirklichkeit ist immer eine Enttäuschung, und der
kindliche Satz – ich wünsche mir nur noch dieses eine Piratenschiff, dann
wünsche ich mir nie wieder etwas – entspricht nicht vollständig der
Lebenserfahrung der meisten Eltern.
Unser Leben mit Wunsch,
Sehnsucht und Enttäuschung wird jedenfalls gerade gründlich optimiert. Dass
Werbung die Wünsche erzeugen möchte, die wir uns dann von den beworbenen
Produkten erfüllen lassen, ist zum einen so irgendwie altbekannt, zum anderen
auch viel zu einseitig. Wenn ich nächtelang den LEGO-Katalog studierte, konnte
ich diese Werbung kreativ nutzen und mich gleichzeitig schlauer fühlen als die
Marketingabteilung, wenn ich mir stattdessen eine Eisenbahn wünschte. Nun haben
die Marketingabteilungen dazugelernt, wie man zum Beispiel in dem Buch von
Markus Morgenroth „Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!“ nachlesen
kann. Das meiste, was er darstellt, ist bekannt, und vieles auch in der dargestellten
Tiefe bekannt. Allerdings ist es in dieser Fülle ein beeindruckendes Bild der
großen Datenkraken, das Morgenroth zeichnet. Nur die Fähigkeit, einmal zurückzutreten,
von seiner beeindruckenden Sammlung vom Wissen über die Wissenssammler, und zu
theoretisieren, besitzt Morgenroth bedauerlicherweise nicht. Denn vor allem würde man ja gerne erfahren, was das mit dem
Menschen macht, wenn er so vermessen wird.
Vor wenigen Jahren noch
mussten die Wichtel der Weihnachtsmanufaktur in Himmelspfort jedenfalls in jedem Sommer ein Markt- und Meinungsforschungsinstitut beauftragen, um nicht
versehentlich zu viele Holzeisenbahnen herzustellen, für die sich am Ende
niemand interessiert. Heute geschieht die Marktforschung direkt, während wir
uns im Netz bewegen, ganz ohne unser Einverständnis werden wir ausgewertet. Die
Köchin Sarah Wiener hatte jüngst den Blick darauf gelenkt, wie großartig eine
Marketingkampagne aus lange belächeltem Fleischersatz ein neuen Trend schaffen
kann: Die gewöhnliche Cervelatwurst muss man ja mittlerweile im Supermarkt,
versteckt hinter den Regalen mit Sojasteaks und Blaubeerblutwurstersatz, suchen.
Man kann also auch nicht
einfach aus dem System heraustreten – was ebenfalls nicht die neueste
Erkenntnis ist, wie mir scheint. Neu ist allerdings, dass dies nicht theoretisch
für „alle“ gilt, sondern für „jeden“. Dass der Weihnachtsmann sich mit so einem
absoluten, totalitären Marketing gemein macht, mag ich kaum glauben, und blättere noch
einmal durch die LEGO-Kataloge meiner Kindheit, die ich aufbewahrt habe, und die in
einem besseren Zustand sind als die Spielzeuge selbst.
Markus Morgenroth: "Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich!" Über die wahre Macht der Datensammler, München: Droemer 2014.
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