Bei Wallstein erschien schon im August des letzten Jahres Teresa Präauers „Johnny und Jean“, es wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und längst überall durchrezensiert und fertigbesprochen. Der erste Satz, der Eindruck macht, weil er gleich den Ton vorgibt, lautet: „Ich stelle mir vor, wie ich als junger Bub auf dem Land lebe.“ Alles ist Vorstellung, was davon Erinnerung ist, was faktisch geschehen, was Phantasie, das bleibt Johnnys Geheimnis, der die Geschichte erzählt, wie er zur Kunst kommt.
Wie stark doch
manche Medienerlebnisse die Rezeption anderer Medien prägen, habe ich bei der
Lektüre des Romans gedacht. Vor fünfzehn Jahren sah ich David Finchers „Fight
Club“, diesen grandiosen Film, in dem Edward Norton in eine kleine Sinnkrise
hineinschlittert und deshalb eine Selbsthilfegruppe aufbaut, deren Mitglieder
einander die Nasen einschlagen. Der Clou des Films, den ich nach fünfzehn
Jahren wohl verraten darf: Die beiden Hauptfiguren sind nur eine. Das wird am
Ende aufgelöst, der Zuschauer ahnt, vielleicht waren die psychischen Probleme
doch ein wenig schwerwiegender als zunächst angenommen, ein Arztbesuch zur
rechten Zeit hätte helfen können.
Diese Idee,
das weiß zum Beispiel der fleißige Dostojewski-Leser, war damals nicht neu. In
„Fight Club“ aber mit einer enormen Wucht durchgeführt, so fesselnd, dass auch
beim zweiten und dritten Schauen der Film noch mitzureißen vermag, und nicht,
wie zum Beispiel bei Shyamalans „The Sixth Sense“, wenn man die Auflösung
kennt, alle Spannung verfliegt wie der unsichtbare Geist von Bruce Willis.
Seit ich
„Fight Club“ gesehen habe, bin ich auf diese Art der Überraschung gefasst. Ach
du, kleines Tigerchen, du jagst mir keine Angst ein. Manchmal bin ich fast
enttäuscht, wenn ich feststellen muss, Odenthal-Tatort zu Ende, alles
aufgelöst, Mörder gefasst und das wars, sogar Kopper soll eine echte Figur sein.
Bei der
Lektüre von „Johnny und Jean“ hatte ich diesen Verdacht nach wenigen Seiten –
Jean gibt es gar nicht, er ist das Alter Ego von Johnny. Lange Zeit spielt der
Roman ganz in der Vorstellungswelt Johnnys: „Jetzt, stelle ich mir vor, sitzen
wir im Lokal am Kai und Jean erzählt mir von seinen Geschichten. Jean hat
Affären, wie es zu seinem Namen passt, oder er behauptet, welche zu haben, und
ich schweige […].“ Und ich fürchtete die ganze Zeit, der Roman würde die Fiktionen
zum Ende hin auflösen, mir eine Lösung präsentieren, die ich zu schlucken
hätte. Aber genau das tut der Text nicht, er zeigt vieles, was offenbar
Phantasie sein muss und zu dem kein faktisches Geschehen denkbar ist, aber er legt
sich nicht einmal in seinen Lügen fest. Diesen Zug bewundere ich sehr an einem
Roman – an dem mich sonst manches gestört hat.
Dieser Vorzug
des Romans, der den beiden Hauptfiguren gerade so viel Leben schenkt, dass sie
nicht auf Allgemeinplätzen totgetrampelt werden, und sie so sehr in der Schwebe
hält, dass die Wirklichkeit gar kein Einwand gegen die Erzählung sein kann, ist
in anderer Hinsicht eine große Schwäche. Denn als Künstlerroman, der er zu sein
vorgibt und als er der verkauft wird, überzeugt er nicht. Hier wirkt er wie ein
Konzept für einen Roman: Also, der eine Junge, der macht so total angesagtes
Kunstperformance-Zeug und erfindet sich ständig neu, der andere Junge zeichnet
einfach irgendwas, Fische zum Beispiel, immer wieder Fische. Super Gegensatz,
oder? Viel mehr erfährt man über die Kunst leider nicht. Was für Fische denn?
Na, Fische eben.
Es hätte
nahegelegen, dass das große Kunstgeschwätz sichtbar gemacht wird in seiner
Beliebigkeit, in seinen Hypes, in seinen Klischees. Aber das ist alles viel zu
nett, zu unpräzise. Soll der Junge halt seine Fische malen. Und wie die
aussehen, ist mir am Ende so egal wie dem Erzähler selbst. Aber ach, was soll
die dröge bildende Kunst, wenn man Sätze hat wie diese: „Künstler werden, das
sagen manche Menschen so leicht. Aber ab dem Tag der bestandenen
Aufnahmeprüfung hört man die Stimmen der Tanten, der Mörder und der Zweifler.“
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