Montag, 8. Juni 2015

Teresa Präauer: Johnny und Jean


Bei Wallstein erschien schon im August des letzten Jahres Teresa Präauers „Johnny und Jean“, es wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und längst überall durchrezensiert und fertigbesprochen. Der erste Satz, der Eindruck macht, weil er gleich den Ton vorgibt, lautet: „Ich stelle mir vor, wie ich als junger Bub auf dem Land lebe.“ Alles ist Vorstellung, was davon Erinnerung ist, was faktisch geschehen, was Phantasie, das bleibt Johnnys Geheimnis, der die Geschichte erzählt, wie er zur Kunst kommt.

Wie stark doch manche Medienerlebnisse die Rezeption anderer Medien prägen, habe ich bei der Lektüre des Romans gedacht. Vor fünfzehn Jahren sah ich David Finchers „Fight Club“, diesen grandiosen Film, in dem Edward Norton in eine kleine Sinnkrise hineinschlittert und deshalb eine Selbsthilfegruppe aufbaut, deren Mitglieder einander die Nasen einschlagen. Der Clou des Films, den ich nach fünfzehn Jahren wohl verraten darf: Die beiden Hauptfiguren sind nur eine. Das wird am Ende aufgelöst, der Zuschauer ahnt, vielleicht waren die psychischen Probleme doch ein wenig schwerwiegender als zunächst angenommen, ein Arztbesuch zur rechten Zeit hätte helfen können.

Diese Idee, das weiß zum Beispiel der fleißige Dostojewski-Leser, war damals nicht neu. In „Fight Club“ aber mit einer enormen Wucht durchgeführt, so fesselnd, dass auch beim zweiten und dritten Schauen der Film noch mitzureißen vermag, und nicht, wie zum Beispiel bei Shyamalans „The Sixth Sense“, wenn man die Auflösung kennt, alle Spannung verfliegt wie der unsichtbare Geist von Bruce Willis.

Seit ich „Fight Club“ gesehen habe, bin ich auf diese Art der Überraschung gefasst. Ach du, kleines Tigerchen, du jagst mir keine Angst ein. Manchmal bin ich fast enttäuscht, wenn ich feststellen muss, Odenthal-Tatort zu Ende, alles aufgelöst, Mörder gefasst und das wars, sogar Kopper soll eine echte Figur sein.

Bei der Lektüre von „Johnny und Jean“ hatte ich diesen Verdacht nach wenigen Seiten – Jean gibt es gar nicht, er ist das Alter Ego von Johnny. Lange Zeit spielt der Roman ganz in der Vorstellungswelt Johnnys: „Jetzt, stelle ich mir vor, sitzen wir im Lokal am Kai und Jean erzählt mir von seinen Geschichten. Jean hat Affären, wie es zu seinem Namen passt, oder er behauptet, welche zu haben, und ich schweige […].“ Und ich fürchtete die ganze Zeit, der Roman würde die Fiktionen zum Ende hin auflösen, mir eine Lösung präsentieren, die ich zu schlucken hätte. Aber genau das tut der Text nicht, er zeigt vieles, was offenbar Phantasie sein muss und zu dem kein faktisches Geschehen denkbar ist, aber er legt sich nicht einmal in seinen Lügen fest. Diesen Zug bewundere ich sehr an einem Roman – an dem mich sonst manches gestört hat.

Dieser Vorzug des Romans, der den beiden Hauptfiguren gerade so viel Leben schenkt, dass sie nicht auf Allgemeinplätzen totgetrampelt werden, und sie so sehr in der Schwebe hält, dass die Wirklichkeit gar kein Einwand gegen die Erzählung sein kann, ist in anderer Hinsicht eine große Schwäche. Denn als Künstlerroman, der er zu sein vorgibt und als er der verkauft wird, überzeugt er nicht. Hier wirkt er wie ein Konzept für einen Roman: Also, der eine Junge, der macht so total angesagtes Kunstperformance-Zeug und erfindet sich ständig neu, der andere Junge zeichnet einfach irgendwas, Fische zum Beispiel, immer wieder Fische. Super Gegensatz, oder? Viel mehr erfährt man über die Kunst leider nicht. Was für Fische denn? Na, Fische eben.

Es hätte nahegelegen, dass das große Kunstgeschwätz sichtbar gemacht wird in seiner Beliebigkeit, in seinen Hypes, in seinen Klischees. Aber das ist alles viel zu nett, zu unpräzise. Soll der Junge halt seine Fische malen. Und wie die aussehen, ist mir am Ende so egal wie dem Erzähler selbst. Aber ach, was soll die dröge bildende Kunst, wenn man Sätze hat wie diese: „Künstler werden, das sagen manche Menschen so leicht. Aber ab dem Tag der bestandenen Aufnahmeprüfung hört man die Stimmen der Tanten, der Mörder und der Zweifler.“

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