‚Was schreibst du?‘, fragte Rainer.
‚Dass Wohnungen aus Hohlräumen bestehen.‘“
‚Dass Wohnungen aus Hohlräumen bestehen.‘“
Das zitierte
ich schon im letzten Text über Aléa Toriks Roman. Merkwürdige Gedanken, die,
wenn sie stimmten, die Wohnungssuche deutlich erleichtern würden. Eine Wohnung
aus Hohlräumen? In meiner ersten Dachgeschosswohnung, die ich als Student allein
bezog, stürzten die Decken so weit in den Raum, dass nur wenig Hohlraum
zwischen meinem Kopf und der Dachschräge übrigblieb. Ich kaufte mir einen sehr
flachen Rattanstuhl bei IKEA, den ich in die Ecke schob, um nicht bloß in der
Mitte des Raumes aufrecht am Tisch sitzen zu können. Außerdem lag in diesem
Hohlraum bereits ein alter Teppich, grau in meiner Erinnerung, grauer Hohlraum
also. Und eine Kochnische befand sich bereits genau unter einem Dachfenster,
sodass ich immerhin stehend kochen konnte: bekochbarer, grauer Hohlraum.
Nur eine
Anzahl leerer Räume, die aber niemals leer sind, in Berlin sind Stuckaturen an
der Decke, in Oberhausen Stockflecken. Leer sind die Räume nur im Text. Aléa
kann mit leeren Räumen beginnen, weil sie sich ihre Wohnung selbst
zusammenschreibt. Wer das kann, der ist selbstverständlich vollumfänglich
verantwortlich für das, was er sich da erschreibt. (Nun aber Obacht: Das ist
nicht ganz umstandslos auf die Realität zu übertragen, ihr enttäuschten
Liebhaber Aléas. Denn keine lippen-schürzende Eva Mendes zierte die Rückseite
des Buches.)
Der leere Raum
wird überhaupt erst zu einem Raum, wenn die Figur im Text ihn betritt und ihn
gestaltet. Das stimmt in dieser Radikalität, wie angedeutet, für die
Wirklichkeit nicht, oder nur für manche Teilbereiche der Wirklichkeit.
Allerdings kommt mir der Gedanke auch vertraut vor. Der Schriftsteller Rudolf Kassner stellte
seinem Buch „Zahl und Gesicht“ ein merkwürdiges Motto voran: „Paradox jeder
Physiognomik, daß der Mensch nur so sei, wie er aussehe, weil er nicht so
aussieht, wie er ist“.
Diesen Satz
habe ich sehr oft gelesen, ganz verstehe ich ihn nicht. Kassner hat sehr viel
über das Verhältnis des Inneren zum Äußeren nachgedacht, über das, was für den
Spießer eben auch gilt, wenn er am Jägerzaun steht, und nicht gilt, wenn er in
den Anden zeltet. Der zweite Teil des Satzes zuerst: Wir sehen nicht so aus,
wie wir sind. Auch der Spießer sieht nicht so aus, wie er ist. Da ist kein
Inneres, das dem Äußeren vorangeht, nach dem das Äußere gestaltet würde. So wäre Aléa falsch verstanden und
beispielsweise auch, was ja als Exempel naheliegt, die Identität im sozialen
Netzwerk. Wir gestalten dort nicht, was wir vorher schon sind. Und deshalb sehen
wir auch nicht so aus, wie wir sind.
Schwieriger ist
der erste Teil des Satzes, dass der Mensch so sei, wie er aussehe. Und noch
schwieriger die Verknüpfung der beiden Satzteile. Der Spießer ist so, wie er
aussieht, was bedeutet, außerhalb der Form existiert er nicht. Aléa ist das,
was sie schreibt. Und das ist sie, weil
sie nicht schreibt, was sie ist.
Ach, diese
elenden Paradoxien! Oder sieht dieser Satz nur so schwierig aus, wie er ist,
weil er nicht so schwierig ist, wie er aussieht? In einem gut gehegten Essay
sollten alle Paradoxien exorziert werden. Denken braucht Regeln, liebe Aléa und
geschätzter Herr Kassner: vorne der Zaun, dahinter der Buchs und dann gemähter
Rasen, alles andere wird im leeren Raum versenkt.
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