Dienstag, 10. Februar 2015

Houellebecqs „Unterwerfung“: Verspätete Notizen



Michel Houellebecq, gehört nun zusammen mit Jojo Moyes und Giulia Enders zu den großen Bestsellerautoren. (Bild von Mariusz Kubik auf Wikimedia)

So große Aufregung herrschte seit „Harry Potter“ nicht mehr. Alle die lesen können, lesen Houellebecqs „Unterwerfung“. Und alle, die etwas über Literatur, den Islam oder beides zu sagen haben, äußern sich zu dem Roman.

Ich habe ja ein paar Stimmen in der Blogumschau eingefangen. Und der Artikel war eigentlich schon spät dran. Wer liest denn – mich, ein paar andere Rezensionssammler und gelangweilte Literaturwissenschaftler ausgeschlossen – mehr als, sagen wir, fünf oder sechs Besprechungen zu einem einzigen Buch. Bei der siebten stellt sich bei manch einem Leser Überdruss ein, die achte wird nur noch überflogen, wenn dann die neunte und zehnte wieder einmal Houellebecq und seine Äußerungen über den Islam beleuchten, denkt man ganz zu Recht: In der Zeit hätte ich den Roman ja komplett lesen und mit „Harry Potter“ noch einmal anfangen können. Oder die schönsten Passagen von „Darm mit Charme“.

Um das klar zu sagen: Es liegt auf der Hand, Houellebecqs Buch im Zusammenhang der jüngsten Ereignisse in Frankreich (oder auch mit Pegida in Deutschland) zu lesen. Das heißt allerdings nicht, dass das falsch wäre. Im Gegenteil halte ich das – und die elitäre Literaturwissenschaft zuckt aufseufzend mit den Schultern – für sehr wichtig. Aber ich habe nichts Neues dazu zu sagen. Nur deshalb schreibe ich etwas anderes über den Roman. Wenn Kafkas Texte hundertmal (ach, in Wirklichkeit tausendmal) als Parabeln und Gleichnisse bezeichnet wurden, ist es ja ganz unterhaltsam, wenn einer kommt, der sagt, vielleicht haben die Erzählungen irgendetwas mit Schauerliteratur oder Liebeslyrik zu tun.

Nur deshalb also und weil ich als Literaturwissenschaftler gerne etwas über Literaturwissenschaftler erfahre: Der Roman von Houellebecq lässt sich auch wunderbar mit „Weiskerns Nachlass“ von Christoph Hein vergleichen. Bei Christoph Hein kommt, soweit ich mich erinnere, kein einziger Muslim vor, Allah spielt überhaupt keine Rolle, keine verschleierten Frauen, kein Koran und an den Propheten denkt mehrere hundert Seiten lang auch niemand.

Aber hier wie dort, ein desillusionierter Literaturwissenschaftler, der leidenschaftlich an seinem Thema hängt (Weiskern bzw. Huysmans) und der gerne mit sehr viel jüngeren Studentinnen ins Bett geht. Um das auch gleich deutlich zu sagen: Ich schätze Christoph Hein. Dennoch, wenn man die beiden Romane nebeneinander legt, sieht man leicht, wo die Probleme liegen. In „Weiskerns Nachlass“ wird das ganze Thema zu zögerlich angegangen. Die Lage des literaturwissenschaftlichen Protagonisten ist eigentlich prekär, nur eine halbe Stelle, ein Nischen-Thema, das kaum Anklang findet, Einsparungen im Institut. Der Sex mit den Studentinnen scheint das letzte zu sein, was der literaturwissenschaftlichen Karriere im Nachhinein Sinn verliehen hat. Und irgendwann bekommt der Literaturwissenschaftler das Angebot, einen Studenten für einen großzügigen Betrag durchs Studium zu verhelfen. Bei Houellebecq lockt ebenfalls viel Geld, wenn der Protagonist nur zum Islam konvertierte.

Das sind deutliche Parallelen der beiden Geschichten, und beide Autoren führen ihre Hauptfiguren nicht in die existenzielle Verzweiflung, sondern federn sie gütigst ab. Stolzenburg, in Heins Roman, hat immer wieder Möglichkeiten zu handeln – die Verlegerbekanntschaft, die Anwaltsbekanntschaft, die Frauenbekanntschaft – und könnte die Initiative ergreifen, sodass der Text letztlich nur eine geringe Beklemmung oder Wucht erzeugt. Houellebecq macht etwas ganz anderes, merkwürdiges, wenn ich das richtig gelesen habe: Je näher seine Figur dem Islam kommt, desto mehr steigt auch dessen Selbstachtung. Bis er zum Ende hin sich fast als einen zweiten Nietzsche sieht, dessen Genialität er der Universität gar nicht vorenthalten kann.

Damit, wenn ich das richtig gesehen habe, würde der Roman tatsächlich vorführen, was er behauptet: Die Trägheit, der Zynismus, die Lebenssattheit könnten im Islam überwunden werden. Nun, merke ich, schreibe ich doch nebenbei über den Roman und den Islam, statt weiter über die Unterschiede der beiden Romane nachzudenken, bei dem der eine auch im Text seinem Thema nahekommen will – also literaturwissenschaftliche Formeln, Titel, Motive aufnimmt –, während der andere dem Leser das nicht zumutet, sondern seinen Weiskern nur vom Spielfeldrand aus beobachtet. Und Spielfeldrand – nein, das ist kein Vorwurf, den man dem Roman von Houellebecq machen könnte.

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