Michel Houellebecq, gehört nun zusammen mit Jojo Moyes und Giulia Enders zu den großen Bestsellerautoren. (Bild von Mariusz Kubik auf Wikimedia)
So große
Aufregung herrschte seit „Harry Potter“ nicht mehr. Alle die lesen können,
lesen Houellebecqs „Unterwerfung“. Und alle, die etwas über Literatur, den
Islam oder beides zu sagen haben, äußern sich zu dem Roman.
Ich habe ja
ein paar Stimmen in der Blogumschau eingefangen. Und der Artikel war eigentlich
schon spät dran. Wer liest denn – mich, ein paar andere Rezensionssammler und
gelangweilte Literaturwissenschaftler ausgeschlossen – mehr als, sagen wir,
fünf oder sechs Besprechungen zu einem einzigen Buch. Bei der siebten stellt
sich bei manch einem Leser Überdruss ein, die achte wird nur noch überflogen,
wenn dann die neunte und zehnte wieder einmal Houellebecq und seine Äußerungen
über den Islam beleuchten, denkt man ganz zu Recht: In der Zeit hätte ich
den Roman ja komplett lesen und mit „Harry Potter“ noch einmal anfangen können.
Oder die schönsten Passagen von „Darm mit Charme“.
Um das klar zu
sagen: Es liegt auf der Hand, Houellebecqs Buch im Zusammenhang der jüngsten
Ereignisse in Frankreich (oder auch mit Pegida in Deutschland) zu lesen. Das
heißt allerdings nicht, dass das falsch wäre. Im Gegenteil halte ich das – und die elitäre Literaturwissenschaft zuckt
aufseufzend mit den Schultern – für sehr wichtig. Aber ich habe nichts Neues
dazu zu sagen. Nur deshalb schreibe ich etwas anderes über den Roman. Wenn
Kafkas Texte hundertmal (ach, in Wirklichkeit tausendmal) als Parabeln und
Gleichnisse bezeichnet wurden, ist es ja ganz unterhaltsam, wenn einer kommt,
der sagt, vielleicht haben die Erzählungen irgendetwas mit Schauerliteratur
oder Liebeslyrik zu tun.
Nur deshalb
also und weil ich als Literaturwissenschaftler gerne etwas über Literaturwissenschaftler
erfahre: Der Roman von Houellebecq lässt sich auch wunderbar mit „Weiskerns
Nachlass“ von Christoph Hein vergleichen. Bei Christoph Hein kommt, soweit ich
mich erinnere, kein einziger Muslim vor, Allah spielt überhaupt keine Rolle, keine
verschleierten Frauen, kein Koran und an den Propheten denkt mehrere hundert
Seiten lang auch niemand.
Aber hier wie
dort, ein desillusionierter Literaturwissenschaftler, der leidenschaftlich an seinem
Thema hängt (Weiskern bzw. Huysmans) und der gerne mit sehr viel jüngeren
Studentinnen ins Bett geht. Um das auch gleich deutlich zu sagen: Ich schätze
Christoph Hein. Dennoch, wenn man die beiden Romane nebeneinander legt, sieht
man leicht, wo die Probleme liegen. In „Weiskerns Nachlass“ wird das ganze Thema
zu zögerlich angegangen. Die Lage des literaturwissenschaftlichen Protagonisten
ist eigentlich prekär, nur eine halbe Stelle, ein Nischen-Thema, das kaum
Anklang findet, Einsparungen im Institut. Der Sex mit den Studentinnen scheint
das letzte zu sein, was der literaturwissenschaftlichen Karriere im Nachhinein
Sinn verliehen hat. Und irgendwann bekommt der Literaturwissenschaftler das
Angebot, einen Studenten für einen großzügigen Betrag durchs Studium zu
verhelfen. Bei Houellebecq lockt ebenfalls viel Geld, wenn der Protagonist nur
zum Islam konvertierte.
Das sind deutliche
Parallelen der beiden Geschichten, und beide Autoren führen ihre Hauptfiguren
nicht in die existenzielle Verzweiflung, sondern federn sie gütigst ab.
Stolzenburg, in Heins Roman, hat immer wieder Möglichkeiten zu handeln – die
Verlegerbekanntschaft, die Anwaltsbekanntschaft, die Frauenbekanntschaft – und könnte die Initiative ergreifen, sodass
der Text letztlich nur eine geringe Beklemmung oder Wucht erzeugt. Houellebecq
macht etwas ganz anderes, merkwürdiges, wenn ich das richtig gelesen habe: Je
näher seine Figur dem Islam kommt, desto mehr steigt auch dessen Selbstachtung.
Bis er zum Ende hin sich fast als einen zweiten Nietzsche sieht, dessen
Genialität er der Universität gar nicht vorenthalten kann.
Damit, wenn
ich das richtig gesehen habe, würde der Roman tatsächlich vorführen, was er
behauptet: Die Trägheit, der Zynismus, die Lebenssattheit könnten im Islam
überwunden werden. Nun, merke ich, schreibe ich doch nebenbei über den Roman
und den Islam, statt weiter über die Unterschiede der beiden Romane nachzudenken,
bei dem der eine auch im Text seinem Thema nahekommen will – also literaturwissenschaftliche
Formeln, Titel, Motive aufnimmt –, während der andere dem Leser das nicht
zumutet, sondern seinen Weiskern nur vom Spielfeldrand aus beobachtet. Und
Spielfeldrand – nein, das ist kein Vorwurf, den man dem Roman von Houellebecq
machen könnte.
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