Dresdner Dichter haben derzeit die schönsten Namen: Grünbein, Rosenlöcher, Popp! Hier Durs Grünbein, Foto von dontworry auf Wikimedia.
Ausgerechnet
von Durs Grünbein hätte ich so einen Artikel nicht erwartet. Grünbein zählt ja
insgesamt eher zu den, man darf das wohl sagen, intellektuellen Dichtern. Böse Menschen
würden vielleicht sagen, das ist Dichtung, für die man einen Uni-Abschluss
braucht. Grünbein denkt in Sonetten, hat immer eine Seneca-Anspielung in petto,
haut vorm Schlafengehen noch ne neue Aischylos-Übersetzung raus, weiß das
doppelte von alles über Neuro-, Psycho-, Hirngedöns.
Und nun auf
der ersten Seite des Feuilletons der ZEIT seine Abrechnung übertitelt mit: „Das Volk
dieses Monster. Auf den Demonstrationen der Pegida offenbarte sich die Dresdner
Seele. Eine Abrechnung mit der Mentalität meiner Heimatstadt.“ (ZEIT, vom 12.02.2015, nicht online, hier ein paar Gedanken dazu.)
Auf dem
kleinen Grünbein-Porträt, das dem Artikel beigefügt ist, blickt er finster. Der
Deus ex machina kommt, um unsere Welt in Ordnung zu bringen, so hoffen wir.
Jetzt, am Ende des Stücks, da die Pegida-Demonstrationschöre fast verklungen sind,
tritt Grünbein auf und schickt die Pegida von der Bühne hinunter.
Die Frage
hatten ja viele gestellt: Warum ausgerechnet in Dresden? Warum da? Da sind doch
kaum Migranten, als würde man in einem Steakhouse, den um sich greifenden
Vegetarismus erblicken. Aber das war unsauber gedacht, als hätten Ressentiments
tatsächlich etwas mit dem Fremden zu tun, als müsste es da sein, um
Ressentiments zu entwickeln. Es schadet allerdings auch nicht. Denn die
Gegenposition macht mich ebenfalls skeptisch: Gerade deshalb sei es in Dresden
losgegangen, in Köln undenkbar, weil dort eben Migranten in ausreichender Zahl
vorhanden seien, die in Dresden erst, zwecks Ressentimentbekämpfung,
angesiedelt werden müssten. Das glaube ich genauso wenig. Und so sieht es auch
Grünbein, der sagt: „Eine Bedrohung findet sich immer.“ Es ist die
Kleinbürgermentalität, die er angreift.
Und er
schreibt, nachdenkenswert, wie ich finde, darüber, dass die Pegida-Anhänger
‚genau wüssten‘, sie ‚unterscheiden genau‘. Sie wissen genau, wo die Grenzen
der Kultur zu ziehen sind. Das ist alles äußerst lesenswert, und an viele
Stellen könnte man anknüpfen.
Aber stimmt
das hier? „Wissen“ sie? Unterscheiden sie „genau“? Meinem Spießbürger würde ich
dieses Wissen und das genaue Unterscheiden jedenfalls nicht zutrauen. Sein
Wissen ist diffus. Er will das alles weghaben, er weiß eben nicht genau, täte
sich unendlich schwer, wenn er sich nun auf so wacklige Dinge wie Argumente
verlassen müsste. Er weiß ‚fest‘, würde ich sagen, unumstößlich, unbelehrbar,
wie Grünbein später schreibt. Aber nicht
genau. Und deshalb hielt ich die Diskussionen, die von der Sächsischen
Landeszentrale für politische Bildung angestoßen wurden, für sehr sinnvoll.
Zuhören und antworten, das soll ja manchmal helfen, wenn Einer denkt, er wüsste
genau, aber er weiß gar nicht. Wie die Studenten, die im Germanistik-Seminar
mit den Augen rollen, wenn der Dozent fragt, ob alles verstanden sei – wir
haben lange schon verstanden, weitere Erläuterungen bitte in den Papierkorb –
und nach dem Seminar miteinander sprechen: „Ach, Goethe! Literatur aus dem
Mittelalter interessiert mich einfach nicht.“ Die Illusionen des Verstehens, hoffentlich
nicht unbelehrbar, da könnte ein Gespräch doch helfen.
Zu
idealistisch? Das ist mein planloser Enthusiasmus gegen die Idiotisierung des
Abendlandes.
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