Sido, der mit der Maske. Und jetzt ist der doch ganz zahm geworden, oder?! Das ungefähr fällt dem Bildungsbürger ein, wenn er an Sido denkt. Und viel mehr ist es bei mir, offen gesagt, auch nicht. Die Maske, die fiel auf, die provozierte. Das wirkte zu echt. Die Maske wirkte gerade nicht wie ein Stilmittel, wie eine Ästhetisierung des Rappers. Man dachte: Der trägt Maske. Warum tut er das? Ein Monster, ein Entstellter, ein Promi, ein Verbrecher, ein Facebookhasser?
Schon längst
trägt er keine Maske mehr und seine Texte sind nicht mehr allzu provokant.
Auf ln-online wurde vor wenigen Tagen ein aufschlussreiches Interview
veröffentlicht, mit dem Titel: „Sido. Vater, Vorbild, Spießer?“ Anlass ist natürlich
ein neues Album - das ich nicht kenne. Es fällt mir schwer, einen Künstler
ernstzunehmen, der am Ende des Interviews sagt, naja, jetzt brauche er neue
Herausforderungen, denn das Rap-Ding, das schüttele er so aus dem Ärmel. Das
kenne er. Da weiß er einfach, wie der Hase läuft. Das klingt, nun ja, sagen wir
mal: routiniert. Routinierte Musik, routinierte Kunst, das macht nicht
unbedingt Lust, sich darauf einzulassen.
Sido: schon seit einer Weile Brille statt Maske. Foto von Drhabibi, Quelle: Wikimedia.
Aber seine
Äußerungen über Spießigkeit. Da muss ich gerecht urteilen. Und, was soll ich
sagen, ich könnte dieses Interview zum Beispiel mit dem Interview vergleichen,
das mit Harry Luck geführt worden ist. Der hat ein Buch über den Spießer
veröffentlicht. Nur diesen Interviews nach zu urteilen, kennt Sido sich in der
Materie besser aus. Sein Begriff vom Spießbürger ist stimmiger.
Es geht in dem
Interview um das Alltäglichste, das nur interessiert, weil man in Gedanken den
Masken-Mann vor sich hat. Der Masken-Mann beim Windelwechseln, der Masken-Mann
vorm Traualtar. Die gewöhnlichsten Dinge, die sich allerdings für einen Rapper
nicht ziemen. Sido lässt sich auf dieses Spiel jedoch kaum ein, er findet es
eben nicht besonders aufregend, dass er, ausgerechnet er, nun im Haushalt hilft
oder mal putzt und nicht täglich alles aus dem Fenster schmeißt.
Der
Interviewer wird direkt: „Sie haben ein Haus im Grünen, sind verheiratet und
zweifacher Vater. Das klingt fast schon spießig, oder?“ Sido, das merkt man,
und das sagt er auch, wird nicht zum ersten Mal auf seine vermeintliche Spießigkeit
angesprochen. Er ist vorbereitet. (Ach, Herr Luck, waren Sie etwas überrascht,
dass Sie ausgerechnet über den Spießbürger sprechen sollten? Sie hätten sich auch
darauf vorbereiten können; es lag doch nah, oder nicht?!) Sido mäht seinen
Rasen selbst, hat sogar so einen Aufsitzrasenmäher. Und behauptet doch, er sei
nicht spießig. Er mache das, weil er Lust dazu habe. Ihm sei es egal, was die
Nachbarn über seinen Rasen sagen, und ihm gehe es nicht um die akkurate Länge
der Grashalme. Er mag das einfach.
Beweggründe
sind nicht zu prüfen, aber der Spießer wäre,
nach Sido, derjenige, der seinen Rasen mähe, weil sich das so gehöre. Sappalot!
Das trifft sich ja bestens: Sido und Kierkegaard, meine Kronzeugen, hierher!
Sido habe
einen Brief bekommen, in dem unter anderem stehe, er solle seine Mülltonnen
gerade hinstellen. Das sei für ihn spießig so einen Brief zu schreiben. Schiefgestelle
Mülltonnen – ganz einfach kann Provokation heute sein, er merke sich das, der
Rapper, der erwachsen geworden ist. Auf dem nächsten Plattencover will ich
die schiefen Mülltonnen sehen. Und wieder möchte ich seiner Idee der
Spießigkeit folgen. Nur der Spießbürger kümmert sich um die Mülltonnen des
Nachbarn.
Das gefällt
mir sehr! Der groß gewordene Frechdachs, der, wie er weiß, nun ‚angekommen‘
ist, aber trotzdem nicht darauf verfällt, den Begriff des Spießers umbiegen zu
wollen. Weil er nun so genannt werde. Der trotzdem darauf beharrt, dass es da
Unterschiede gibt. Nicht jeder, der den Rasen mäht, und sei es mit einem
Aufsitzrasenmäher, muss vom Rap in die Volksmusik wechseln.
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