Die Expressionisten, zwar vielfach Bürgerssöhne – und wenige, aber ganz ausgezeichnete Töchter – griffen das Establishment an. Sie grenzten sich ab vom Spießbürgertum. Doch die Bürger waren auch nicht untätig, Stifte zückend, Speichel spuckend, wie sich Wassily Kandinsky erinnerte, machten sie die Expressionisten und deren Werke nieder bzw. so feucht, dass der Ausstellungsleiter am Ende des Tages mit einem Tuch alles trockenwischen musste. Eine schöne Umkehrung: Das Establishment von damals wirkt heute so, als hätte es absolute Außenseitermeinungen kundgetan. Die expressionistischen Stars bekamen von der Kunstgeschichte schließlich Recht gesprochen, die damaligen Spießer wurden zu überlebenslanger Lächerlichkeit verurteilt.
Ein Herr
Hentig nahm 1910 bei einer Veranstaltung des „Neopathetischen Cabarets“ teil.
Dort lasen verschiedene Expressionisten, wie eben Jakob van Hoddis oder Georg
Heym, die erst wenig später zu Ruhm gelangen sollten. So schrieb Herr Hentig
einen ironischen, sehr bissigen Artikel, der in einer Münchner Zeitung
veröffentlicht wurde. Damals lachte der Münchner Bürger über diese
Absurditäten, die da in Berlin stattfanden, heute lacht der Leser über Herrn
Hentig und seine vollkommene Fehleinschätzung:
„In einem kleinen, warm-braun getäfelten Raum sind ungefähr 50 Personen anwesend. […]Nun wird es dunkel. Eine besonders neopathetisch konstruierte Lampe wirft ihre rückwärts gewandten Strahlen auf das blasse Kindergesicht eines Jünglings, der mit einigen glatten Worten sich und seine Bestrebungen willkommen heißt und die Eigenart der Neopathetiker zu erklären sucht. Ich habe das alles nicht mehr behalten und glaube nicht, daß es besonders eigenartig war. […][Georg Heym] schmettert mit energischer Stimme ein paar Gedichte seinen Zuhörern ins Gesicht. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Würmern, die im Kopf einer Leiche umherschwirren und sucht, uns auch dafür zu interessieren. Als irgendeiner schüchtern lacht, wirft er dem Publikum einen scharfen Blick zu. Schon fürchten wir, er will uns mit der Entziehung seiner Gedichte bestrafen. Aber nein, die Gefahr geht vorüber. Am Schlusse Jubel. […]Das Schlimmste aber erleben wir jetzt. Ein junger Mann, der sich J. van Hoddis nennt, nimmt auf dem Podium Platz und lächelt schon von vornherein schadenfroh, über die gemißhandelten Zuhörer. Dann liest er so schnell seine Machwerke ab, daß man überrascht nicht mehr Zeit hat, zur Tür zu kommen. Nach jeder Strophe lächelt er befriedigt. Ich habe selten so etwas bodenlos Häßliches gehört […].“
Der Text bringt
an verschiedenen, hier nicht zitierten Stellen üble Ressentiments, zum Beispiel
antisemitische. Das passt, denn der Spießer bedient sich solcher unreflektierten
Zuschreibungen, aber das ist auch so komplex und wichtig, dass ich es an
anderer Stelle ausführlich in den Blick nehmen muss. Hier lässt sich erst einmal
festhalten: Der Expressionismus war den Bürgern zu hässlich. Auch wenn van
Hoddis in seinem berühmten "Weltende"
rhythmische und reimende Verse schreibt, er bricht mit den Lyrikkonventionen.
Die Ironie, die Groteske, das Unpassende – das alles gehörte nicht in ein
Gedicht, das ausgewogen, schön, harmonisch sein sollte. Ein Meer ‚hupft‘ nun
einmal nicht, und dabei sollte es bleiben.
Und ähnlich die Malerei: hässlich, albern, kindisch. Die Reaktionen auf die Ausstellungen der
Neuen Künstlervereinigung München sind bezeichnend. Zu sehen waren Bilder unter
anderem von Kandinsky und Picasso. Man meint heute, der Schreiber der folgenden
Zeilen muss doch etwas übersehen haben, es muss noch eine andere Möglichkeit geben,
diese damals gezeigten Bilder zu erklären. Er sah nur zwei: „Diese absurde Ausstellung zu
erklären, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt an, dass die
Mehrzahl der Mitglieder und Gäste der Vereinigung unheilbar irrsinnig ist oder
aber, dass man es mit schamlosen Bluffern zu tun hat.“
Wäre eine kostspielige Kinderzimmerverschönerung: Franz Marc: Affenfries, Quelle: Wikimedia
Eine schlechte
Kritik ist besser als keine. Aber auch das Ignorieren half letztlich nicht. Von
der ersten Ausstellung des „Blauen Reiters“, die heute immerhin ‚legendär‘
genannt wird, wurde in den Zeitungen und Zeitschriften kein Wort gesagt.
Trotzdem gingen die Bilder von Kandinsky, Marc und anderen auf Tournee durch
Deutschland und Nordeuropa.
Da sieht der
Spießbürger nun alt aus. Da hat er sich gerade durchgerungen, einen
Seerosenteich von Monet unter Umständen doch schön zu finden, schon machen
diese sogenannten Maler wieder alles anders: blaue Pferde! Die Versuche des
Bürgers, die Grenzen seines guten Geschmacks für alle aufrechtzuerhalten,
gingen schief.
Franz Marc: Die großen blauen Pferde, Quelle: Wikimedia.
Quellen: das Zitat von Hentig, zit. nach Thomas Anz: Literatur des Expressionismus, Stuttgart, Weimar: Metzler 2010, S. 25f.
zum Blauen Reiter und auch das Zitat aus: Sybille Engels u. Cornelia Trischberger: Der Blaue Reiter, München u.a.: Prestel 2005.
Hier geht es zum dritten Teil der Serie.
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