Der polarisiert halt. Putin zum Beispiel oder Norbert Blüm mit seiner Kritik am Rechtssystem. Die sind total am Polarisieren. Auch Weselsky, der polarisiert auch. Oder es sind Vorhaben, die polarisieren, Fracking beispielsweise soll angeblich polarisieren, das neue Anti-Doping-Gesetz ebenso, das polarisiert nun mal.
Polarisieren bedeutet,
laut Duden, dass Gegensätze immer deutlicher hervortreten oder sich etwas zu
Gegensätzen entwickelt hat. Ja, so besehen, stimmt das. Entweder für die
Bahn-Streiks oder dagegen, dazwischen geschah nichts mehr auf den Bahnsteigen.
Und zu sagen, Das-und-Das polarisiere, bedeutet auch, sich die Dinge einfacher
zu machen, als sie sind. Die Zwischenpositionen darf man mal wegfallen lassen.
Die Welt ist kompliziert genug, und wenn die Medien von Polarisierungen
sprechen, tun sie einen guten Dienst: Die Welt wird wieder einfacher. Wer nicht
dafür ist, ist dagegen, und wer nicht dagegen ist, ist dafür – sagte schon Jesus;
ganz einfach, oder nicht?!
Da steckt nun
allerdings ein Problem von Henne-Eierschen Ausmaßen: Polarisiert Putin? Oder
wird er bloß zu einer polarisierenden Figur, weil in der Berichterstattung alle
Zwischentöne weggelassen werden? Was heißt das denn, jemand polarisiere? Man
kann Bayern München nur hassen oder lieben. Ach, wenn irgendetwas so einfach
wäre. Wenn ich nur wüsste, auf welcher Seite ich dann stehe. (Fühle nur ich
mich zu kompliziert für so solche Vereinfachungen? Und ist das jetzt kokettieren
mit der eigenen Kompliziertheit?)
Manchmal scheinen
Polarisierungen hausgemacht, sie werden einer Person untergeschoben, die gar
nichts dafür kann, sich selbst eigentlich ziemlich mittig fühlte und die sonst politikerweich
alle freundlich einschloss und jedem auf die Schulter klopfte. Manchmal allerdings
scheinen Personen, Dinge, Vorhaben, Werke eine originelle Qualität zu besitzen,
die tatsächlich eine Polarisierung nahelegt. Originell, schreibe ich, weil es
wahrscheinlicher ist, wenn in irgendeiner Form ein unbekanntes, neues Element
vorhanden ist, bei dem man nun nicht weiß: Genial oder suboptimal?
Das wäre nun eine
Bedingung – unter weiteren – dafür, dass ein Kunstwerk lange verkannt werden
kann: Es besitzt eine originelle Qualität, die in der Gleichzeitigkeit nicht zu
beurteilen ist, sondern erst im Nachhinein. Dann ist es natürlich leicht, wenn
alle sehen, wie folgenreich Kafka war, dann ist es einfach. Als Zeitgenosse
sehr viel schwieriger.
Manche Texte
sind allerdings auch 100 Jahre nach ihrem Erscheinen noch nicht richtig
einzuschätzen, so zum Beispiel der merkwürdige Roman „Nämlich“ von Paul Adler.
Kaum einer kennt diesen Text. Diejenigen, die ihn kennen und mit denen ich
sprach, wussten nur von zwei Qualitätsextremen, als säße Adler 100 Jahre zu
spät bei einer Castingshow: „Supergeil“ oder „tut mir leid, einfach nicht mein
Ding, aber komm nächstes Jahr wieder, wenn du an dir gearbeitet hast“.
1915 erschien
der kleine Roman in Dresden im Hellerauer Verlag. Und über die Verbindung Dresden-Hellerau taucht Paul Adler dann immerhin
in der Kulturgeschichte auf. Dort entstand eine sehr bedeutende Gartenstadt und
Adler war an dieser Bewegung zeitweise stark beteiligt. Paul Adler hat mehrere
literarische Texte veröffentlicht, alle sind schwierig, eigensinnig,
verschroben, heute fast vergessen und kaum noch zugänglich.
Für seinen
Roman „Nämlich“ wird aber immer wieder gefordert, dass man sich dem doch bitte
zuwenden solle. Andere verschrobene Autoren der Zeit, wie zum Beispiel dieser
Herr Kafka, gingen schließlich auch in den Hörsälen deutscher Universitäten ein
und aus.
Und 1915, als
der Roman erschien, der Erste Weltkrieg war vom Zaun gebrochen, Adler hatte als
einer von sehr wenigen eine Kriegsdienstverweigerung durchsetzen können, lässt
er in „Nämlich“ einen Wahnsinnigen Sätze sagen, die – das ist sehr leicht
einzusehen – polarisiert haben müssen:
„Wut-Geschrei:
Daß der Mensch auch niemals zu einer geringern Menge des Bösen gelangen wird,
als die größte mögliche Menge alles Bösen ausmacht. – Ich beweise dies eben aus
dem, was du, träumender Leib, von mir angenommen hast.
Wutgeschrei:
Daß der Mensch ein politisches Wesen und kein Weltverbesserer oder Narr ist,
vielmehr ein solcher Besessener, der die Welt beständig zu verschlechtern
trachtet. Folgt aus dem, was dein Gemüt bereits zugeben mußte.
Wutgeschrei:
Daß es immer Kriege gegeben hat und immer geben wird. Daß der ewige Friede ein
Traum ist und nicht einmal ein schöner. Ableitung wie oben, aus deinem Herzen.
Hohngeschrei:
Daß der Staat wie die kriegerischen Termiten in Avorun ein notwendiges Übel
oder eine üble Notwendigkeit ist. Man kann aber auch sagen ein notwendiges Gut,
da ja ein Gut eben das genannt wird, was zu seinem Zweck führt. Der Zweck der
bösen Welt aber kann natürlich nur ein böser sein. Diese Bosheit, o Mensch, ist
dein Vaterland.“
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