Bester Laune und noch am Leben: Max und Moritz.
Den Zeitpunkt
habe ich verpasst. Die gefeierte Ausstellung über Wilhelm Busch und seine Bedeutung
für die Entstehung des Comics ist längst vorüber. Die Ausstellung nahm das Jahr
1864 als Aufhänger, das Jahr in dem Wilhelm Busch „Max und Moritz“ zeichnete.
Das ist 150 Jahre her, rund genug für eine Ausstellung. Den Zeitpunkt habe ich
also verpasst. Hat irgendjemand behauptet, dass das Internet schnell ist? Es
ist oft das allerlangsamste Medium. Wenn ein Titel gerade aus den
Bestsellerlisten verschwunden ist, wird sich endlich auch irgendwo im Netz eine
Kritik finden. Mit etwas Glück ist das Buch nicht vergriffen und der Verlag
existiert noch.
Ja, und im April 1865 ist die Erstausgabe von „Max und Moritz“ erschienen, das wären also in einem Dreivierteljahr wieder runde 150 Jahre, die ich hier im Blog feiern könnte. Das dauert mir allerdings zu lange. So lange kann ich nicht warten. Wenn das im nächsten Jahr gefeiert werden sollte, bin ich längst da, hier im Internet. Denn dieses blitzschnelle Internet ist immer längst da, wenn die anderen Medien gerade erst ahnen, dass ein Thema heiß wird. Hat jemand etwas anderes behauptet? Thomas Mann hat einen neuen Roman herausgebracht, zack, weiß ich das per Twitter.
Max und Moritz
also. Und nach dieser Einleitung sollte klar sein: Ich weiß selbst nicht genau,
warum eigentlich. Irgendwie blieb mein Blick auf dem Buch haften und dann blieb
mein Verstand bei den letzten Sätzen haften.
Perfekt dosierter Explosionsstoff: Lehrer Lämpel fliegt zwar vom Stuhl, aber es geschieht ihm nichts.
Nach all den
frechen Streichen, vor allem an die erstklassige Pfeifenexplosion sei erinnert,
bekommen die Jungs eine deftige Strafe. Sie werden geschrotet und von den
Hühnern aufgepickt. Das ist überzogen, das kann man nicht gutheißen. Das Buch ist
nur momentan einmal nicht auf dem Index, weil selbst empfindsame Pädagogen hin
und wieder einsehen, dass zwischen Comic und Welt Unterschiede bestehen dürfen.
Die Strafe ist ein Gag. Soweit würde keiner gehen, selbst wenn der
Nachbarsmoritz Käfer unter der Bettdecke versteckt hätte. Nee, zu krass. Aber
dann dieser Schluss der Geschichte:
Als man dies im Dorf erfuhr
War von Trauer keine Spur. —
— Wittwe Bolte, mild und weich,
Sprach: „Sieh da, ich dacht es
gleich!“ —
— „Ja, ja, ja!“ rief Meister Böck —
„Bosheit ist kein Lebenszweck!“ —
— Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“ —
— „Freilich!“ meint der Zuckerbäcker
„Warum ist der Mensch so lecker!“ —
— Selbst der gute Onkel Fritze
Sprach: „Das kommt von dumme Witze!“ —
— Doch der brave Bauersmann
Dachte: „Wat geiht meck dat an!“ —
— Kurz im ganzen Ort herum
Ging ein freudiges Gebrumm:
„Gott sei Dank! Nun ist's vorbei
Mit
der Uebelthäterei!!“
Dieser Schluss
ist ein Nackenschlag für den Spießbürger. Das comichafte Ende wird wieder in
die (pointiert dargestellte) Lebenswirklichkeit geholt. Vollkommen gleichgültig
wie – Hauptsache, die Ordnung ist wieder hergestellt.
Und das schon
immer gewusst haben. Die Welt in die Bahnen der Wahrscheinlichkeit bringen. „Sieh
da, ich dacht es gleich!“ Das ist dann das Gegenteil von Empathie: Schon
wissen, genauer: schon gewusst haben, wie der Max enden wird. Und auch Moritz längst
abgeschrieben haben.
Jetzt nehme
ich das Büchlein viel zu ernst, das nur unterhalten will. Das etwas anderes ist
als die Wirklichkeit. Und ich mache gerade den Fehler, den Lehrer Lämpel macht:
Überall eine billige Moral herausziehen. So bringt der Spießbürger seine Welt
in Ordnung. Die Jungs werden geschrotet, aber wir alle haben etwas gelernt. Aber
was eigentlich? Lehrer Lämpel hat nur wieder ein Exempel, er hat das gelernt,
was er längst wusste. Solche Streiche führen zu einem bösen Ende. Da ist seine
Welt in Ordnung. – Und wieder muss ich hinzufügen: Ich habe auch nur gelernt,
was ich schon wusste. Am Ende bekommen die Spießbürger vom Künstler eins
drüber. Da ist dann meine Welt in Ordnung.
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