Julia Friedrichs hat für das ZEIT-Magazin einen Artikel verfasst, der mich fast überflüssig macht. Es geht um einen gesellschaftlichen Trend des Rückzugs, ein Rückzug in ein „Neues Biedermeier“ oder mit meinen Worten: in eine neue Spießbürgerlichkeit. Das ist gut geschrieben, weitgehend klug argumentiert, viele interessante Aspekte sind da zusammengetragen.
Friedrichs
geht von einigen Zeitschriften aus: „Flow“, „My Harmony“, „Emotion Slow“ und
„Landlust“ natürlich. Sie zitiert ein paar signifikante Sätze – und verdammt
nochmal, das liegt doch so auf der Hand, warum habe ich das nie gemacht?
Sie zitiert
zum Beispiel aus „Flow“: „Seit ich mir die Zeit nehme, wirklich hinzusehen,
fühlen sich so viele Momente, Beziehungen und Dinge anders an.
Bedeutungsvoller. Schöner. Entspannter.“ Da liegt das neue Biedermeier auf dem
Nierentisch. Und wer will da noch herummäkeln, dass man sich bei einer
Stilanalyse bloß diesen kurzen Absatzes kaum entscheiden könnte, mit welcher
stilistischen Katastrophe man beginnen soll, wenn sich für die Schreiberin nun alles
ganz bedeutungsvoll und schön anfühlt? Nein: Bedeutungsvoll. Schön.
Ein-Wort-Sätze. Die sind: Lyrisch. Prägnant. Cool. Am effektvollsten treten sie
zu dritt auf. Und um das Maß der schlechten Effekthascherei endgültig voll zu
machen, das Fass überlaufen zu lassen und den Boden auszuschlagen, sind es drei
Komparative: „Bedeutungsvoller. Schöner. Entspannter.“ Das heißt: Maß voller.
Fass übergelaufener. Boden ausgeschlagener.
Schnell hat
man solch ein Geplapper überflogen. Bloß nicht nachfragen, wie sich denn ein
Ding bedeutungsvoller „anfühlen“ könne. Denn genau darum geht es ja. Auch
dieses Geplapper soll sich bedeutungsvoller anfühlen, als, sagen wir mal, eine
politische Analyse. Das „Anfühlen“ kommt hier durch Worthülsen zustande, die
Assoziationen wecken und die man eben nicht auf ihren Sinn hin befragen darf,
wenn man mit diesem „Flow“ glücklich zu werden hofft.
Zurück zu
Friedrichs und ihrem Artikel über den Rückzug. Sie trägt vieles zusammen, wie
diese Zeitschriften, die neue Lust an der Handarbeit, an Gartenarbeit, das
Interesse an „Aufmerksamkeit“, an Regionalem, an Langsamkeit etc. etc.
Manches wurde
hier im Blog ja schon thematisiert. Allein das kritische Potenzial dieser
Bewegungen unterschätzt Friedrichs. Sie wirft diese Frage zwar auf, ob das
nicht vielleicht eine gesellschaftsverändernde Bewegung sein könnte, wenn
Menschen begännen, „im Kleinen“ Veränderungen in die Tat umzusetzen. Aber
Friedrichs Beispiele sind unfair: Die nachhaltige Hose für 300 Euro, ja, damit ertappen
wir den neuen Spießbürger in flagranti. Aber nicht jede Stadtgarten-Bewegung
und auch nicht die Real-Life-Super-Heroes beispielsweise sind elitäre
Phänomene.
Leider, Frau
Friedrichs, möchte ich da sagen, immer wenn man gerade dem Herrn Biedermeier
die Nase samt Hand-Made-Brillengestell einschlagen will, kommt einem diese
elende Komplexität dazwischen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.