Ende Januar frage ich mich: Darf man über Köln nicht schreiben? Also wenn man schon schreibt in 2016, muss das nicht Köln sein? Oder die Flüchtlinge? Oder beides? Das Thema kühlt einfach nicht herunter, zu viele Menschen haben ein Interesse daran, dass das Thema ein Thema bleibt. Und auch darüber ließe sich schreiben, medienkritisch, da kann man immerhin sicher sein, stets auf der richtigen Seite zu stehen.
Ich allerdings enthalte
mich hier und verweise, wie großartig, auf Wikipedia. Ein Ereignis, das bereits
im Lexikon abgelegt ist, darf ich hier ruhen lassen. Wer etwas darüber wissen
möchte, sehe eben auf Wikipedia nach. Ich zitiere gerne den ersten Absatz des
entsprechenden Artikels:
„In der Silvesternacht
2015/2016 kam es in Köln im Bereich Hauptbahnhof-Kölner
Dom zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch Gruppen
junger Männer vornehmlich aus dem nordafrikanisch/arabischen Raum.
In vielen Fällen wurden sowohl Sexual-
als auch Eigentumsdelikte und Körperverletzungsdelikte verübt. Aus
weiteren deutschen und europäischen Städten wurden ähnliche Vorfälle berichtet.
Die Übergriffe erfuhren große nationale und internationale Beachtung.“
Steht also alles im
Lexikon. Damit bin ich jeder Verantwortung enthoben, Zitat und fertig. Danke,
ihr Wikis!
Ich benutze Wikipedia
nahezu jeden Tag, und es ist ja keine Frage: Wikipedia ist die Hoffnung, dass
das Netz überhaupt irgendetwas Gutes gebracht hat – neben einer Liste mit den
zehn lustigsten Frisörsalonnamen, die wirklich sehr witzig sind, Haarlekin,
also wirklich. Deshalb nichts gegen Wikipedia. Aber als ich vor kurzer Zeit ein
paar Kinderbücher in die Hände bekam, bemerkte ich, wie sehr Wikipedia auch für
ein Symptom der Zeit steht, das mich nachdenklich macht.
Die Kinderbuchautorin
Kirsten Boie zählt zu den bekanntesten Kinderbuchautoren Deutschlands. Ich
kenne bei weitem nicht alles, was sie geschrieben hat, aber ihre frühen Reihen
(„Linnea“ oder „King-Kong“) halte ich für sehr gelungen. Ganz nebenbei bindet Boie
die familiären Dramen, wie Scheidung, Krankheit, Geldnot, in ihre Texte ein.
Das ist genau beobachtet und sehr sicher erzählt. Nun hatte ich ihre letzten
Bestseller in den Händen, „Seeräubermoses“ und den „Ritter Trenk“. Man erkennt
die Autorin kaum wieder.
Trenk ist eigentlich
ein Bauernsohn, der versehentlich auf einer Burg aufgenommen wird, er soll
jetzt Ritter werden. Thekla, die Tochter der Burgherren und Trenks Freundin,
weiß als einzige von Trenks Herkunft. In abenteuerlichen Episoden besiegt
Thekla beispielsweise mit ihrer Schleuder eine ganze Räuberbande, immer schön
vor den Kopf geschossen, bis alle in Ohnmacht gefallen sind. Die Räuber, die
dann langsam erwachen, wollen nun keine Räuber mehr sein. Sie haben offenbar
eine einigermaßen linke Erziehung genossen, genau wie der Burgherr, der weiß, die
armen Kerle sind nur aus der Not Räuber geworden. Also bekommen sie Arbeit auf
der Burg: Zufällig wird ein Koch benötigt, und zufällig kocht einer der Räuber
auf dem Niveau eines durchschnittlichen Fernsehkochs, also wird er eingestellt.
Die anderen Räuber werden Wachen, die ebenfalls gerade dringend auf der Burg
benötigt werden. Etc. Die Handlungsführung wirkt für einen mittelalterlichen
Roman also an einigen Stellen unwahrscheinlich. Und noch mehr die Figuren, die
im Mittelalter bereits Probleme des 21. Jahrhunderts zu bewältigen haben, keine
kleine Herausforderung für ein Mädchen damals mit Fragen der Emanzipation
befasst zu sein.
Ist ja nicht weiter
schlimm, könnte man einwenden. Schlechte historische Romane für Erwachsene
machen genau das gleiche. Und je nach Vorliebe könnte man also nach dem „Ritter
Trenk“ entweder direkt zur „Wanderhure“ oder zur „Päpstin“ greifen. Irritierend
ist allerdings, dass der Roman ständig etwas erläutern möchte. Immer wieder
Einwürfe wie „du weißt vielleicht nicht, dass“. Und dann folgen Erläuterungen
über das Leben im Mittelalter, was Leibeigenschaft bedeutet oder was man im
Mittelalter zu essen pflegte.
Das Setting soll also
historisch „richtig“ sein. Genau die Dinge, könnte man etwas bösartig sagen,
die bei Wikipedia nachzuschlagen sind, müssen im Roman unbedingt stimmen. Und
ist das nicht toll: Die kleinen Leser sind direkt in ihrer Lebenswelt
„abgeholt“ und sie lernen nebenbei sogar etwas über das Mittelalter. Oder
anders formuliert: Die kleinen Leser bekommen ein totales Zerrbild der
Geschichte und erfahren nichts darüber, dass Kinder einmal vor anderen
Problemen standen – und stehen können – als sie selbst.
Verstehen muss man nichts
und niemanden, wenn man die Fakten kennt. Und dass das großartige Wikipedia nur von
ein paar Kinoverrückten ins Leben gerufen wurde, um wirklich jeden sachlichen
Fehler in jedem Film nachweisen zu können, ist jedenfalls Fakt. Oder nicht.
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