Dienstag, 16. Dezember 2014

Das Fest der Liebe


Martin Walser hat für die ZEIT die drei Bände besprochen, die alle Briefe Rudolf Borchardts an seine Frau Marie-Luise Borchardt enthalten. Liebesbriefe von Rudolf Borchardt! Da dachte ich sofort, das ist ein ideales Geschenk zum Fest der Liebe. Rudolf Borchardt, der ist noch immer ein bisschen so etwas wie ein Geheimtipp. Das kommt als Geschenk ja am allerbesten, da kann man den Connaisseur so richtig raushängen lassen. Und der kann schreiben! Ich kenne zwar diese Briefe nicht, aber so – verdammt gut – schreibt heute niemand mehr. Kann keiner mehr! Echt nicht.

Erst im zweiten Moment sah ich: drei Bände, tausende Seiten, hunderte Euro, das hat etwas zu definitives: Hier nimm! Und komm bloß nicht auf die Idee, dass ich Dir jemals wieder einen Liebesbrief schreiben werde. Hallo!? Du hast drei Bände Liebesbriefe von Borchardt bekommen, das reicht für eine ganze Beziehung, es würde für eine zweite gleich auch noch reichen.

Also kein Borchardt zu Weihnachten! Und, wie gesagt, ich kenne diese Briefe gar nicht. Zum Fest der Liebe denke ich nun eher an das kleine Bändchen, dass die Briefe von Sören Kierkegaard an seine Verlobte, Regine Olsen, enthält. Es wurde keine Ehe daraus, aber an den Briefen lag es nicht. In diese Briefe kann man sich verlieben. Die Übersetzung, die Raphael Meyer vor 100 Jahren anfertigte, hat Rilke stellenweise überarbeitet. Der Ton ist einzigartig:

„Meine Regine!
Dieser Brief hat kein Datum und soll auch keins haben, da sein hauptsächlicher Inhalt das Bewusstsein eines Gefühls ist, das ich zwar, selbst in allen verschiedenen Tonarten der Liebe, in jedem Augenblick hege, das ich eben daher aber auch nicht in irgend einem einzelnen Augenblick hege im Gegensatz zu anderen Augenblicken (nicht um 10 Uhr präzise, oder Punkt 11 Uhr, nicht am 11. Nov. im Gegensatz zum 10. Oder 12.). Dies Gefühl verjüngt sich nämlich fortwährend, es ist ewig jung wie die Bücher, die uns das Mittelalter überliefert, von denen es, obgleich sie mehrere hundert Jahre alt sind, noch immer heißt: gedruckt in diesem Jahre.“

Was für Einstieg in einen Brief! Das ist, zugegeben, ziemlich hoch gegriffen. Und es ist Literatur. So wie Kierkegaard die Ewigkeit der Liebe hier zu bannen versucht, so sehr zielt das über seine geliebte Regine hinaus. Das ist längst Literatur, ist sehr viel Kierkegaard und eher wenig Regine.

Oder ganz ins Poetische führend:

„Meine Regine!
Jetzt ist es Winter, aber deshalb eben Zeit, des Sommers zu gedenken. Das Pferd schnaubt, die Zügel liegen ungestrammt in meiner Hand, die Natur erwacht, jeder Baum neigt sich beim ersten Morgenschauer, um zu sehen, ob sein Nebenmann noch an demselben Orte ist, ein einsamer Vogel hebt sich empor, stolz lässt er seine Stimme im flüsternden Walde wiederhallen, bestürzt springt ein Hirsch auf, äugt um sich und verschwindet in des Waldes Heimlichkeit.“

So schreibt heute nun wirklich niemand mehr. Und Briefe schon gar nicht. Vielleicht noch eine Nachricht über Whatsapp. Die sieht dann aber anders aus. Zu so viel Poesie ist mein Smartphone jedenfalls nicht fähig. Wenn ich ein Wort schreibe, erscheinen oben direkt (das ist ein Samsung S-irgendwas) drei Wortvorschläge, wie der Text weitergehen könnte. Ich beginne also mit „Meine Regine“ und lasse mein Smartphone den Liebesbrief vollenden:

„Meine Regine und ich bin auch nicht mehr so viel wie möglich zu halten und die anderen beiden Seiten die Bilder von der Arbeit und Beruf und Familie in der Nähe von München nach dem Urlaub zurück zu Übersicht vorheriger Artikel nächster Artikel ist sofort lieferbar inkl MwSt zzgl Versand der Ware an den Start gehen und dann die Tage nochmal.“

Das ist nun deutlich prosaischer. Arbeit, Beruf, Familie: Da wäre es vielleicht zu einer Ehe zwischen Sören Kierkegaard und Regine Olsen gekommen, aber mir ist das doch irgendwie zu kleinkariert, gleich an die Mehrwertsteuer zu denken. Zweiter Versuch (immer den linken Vorschlag nehmend, ich beginne wieder mit „Meine Regine“):

„Meine Regine das wäre dann die ganze Familie mit dem ich ohne Einsatz und ich habe mich auch nicht so viel zu viel Zeit in Anspruch oder so was wie schmeckt auch noch ein bisschen zu den Themen Arzneimittel GmbH Ihr seid ja nicht mehr als ein Jahr später noch einmal zu den Themen Arzneimittel…“

Da hat meine Nachrichtensoftware aber noch Luft nach oben. Mehr Kierkegaard-Briefe in die Datenbank einspielen, bitte! Letzter Versuch (ich beginne wieder mit „Meine Regine“ und wähle stets die dritte Vervollständigung):

„Meine Regine die ganze Welt in die Kirche in Bayern zu einem der anderen Art der Unterkunft und ich hab mich mal an der Zeit der großen Auswahl von dir und deinem Fall der Berliner Festspiele die ganze Welt in die Kirche in Bayern…“

Na immerhin, die „ganze Welt in die Kirche in Bayern“ – das hat wenigstens ein bisschen was vom kierkegaardschen Witz. Ich wünsche damit allen Leserinnen und Lesern ein schönes „Fest der Liebe“, ob in einer bayrischen Kirche oder anderswo!

Montag, 8. Dezember 2014

Nochmal Paul Adler


Ich zitierte aus Paul Adlers Nämlich: „Der Zweck der bösen Welt aber kann natürlich nur ein böser sein. Diese Bosheit, o Mensch, ist dein Vaterland.“ Das Vaterland als Zweck der bösen Welt, geradezu als das Böse schlechthin. Das klingt sogar heute noch etwas maßlos, überzogen, bisschen übers Ziel hinausgeschossen mit der Kritik. Da könnte man verleitet sein zu sagen: Das ist durch nichts zu entschuldigen, die territoriale Integrität Deutschlands so zu missachten. Und das betrifft ja nicht nur Deutschland, auch bei Serbien und den Westbalkanstaaten müssen wir nun genau hinsehen.

Schriebe das jemand heute in seinem Blog, die Bosheit schlechthin ist unser Staat, er würde in fast alle nur erdenklichen Ecken gestellt werden. Mindestens linksradikal, anarchistisch, pro-russisch, ökofaschistisch, regenschirmrevolutionär; nur so richtig rechts wäre das nicht einzuordnen. Der Verfassungsschutz wäre jedenfalls alarmiert und Adler bezöge demnächst vermutlich ein Gehalt als V-Mann.

Paul Adler veröffentlicht diesen Satz im Ersten Weltkrieg, und auch deshalb darf den Satz nur ein Wahnsinniger sagen. Das ginge sonst tatsächlich zu weit. Die Reden eines Wahnsinnigen aber lassen sich schlecht zensieren und wer die ernst nimmt, zumal in einem Roman, ist eben selber schuld. Adler versteckt nun allerdings nicht vor allem seine eigenen Ansichten hinter der Maske des Wahnsinns. Damit wäre der Roman zwar noch historisch interessant, als Roman jedoch langweilig. Es geht genau um dies: Wer die Reden des Wahnsinnigen ernst nimmt, ist eben selbst schuld. Da ist keine Autorität, deren „Intention“ zu entschlüsseln wäre. Der ganze Text besteht nur aus den Aufzeichnungen eines wahnsinnigen Protagonisten namens Paul Sauler. Der Leser muss schon selbst sehen, was er mit dem Text macht. – Und das ist schwierig genug.

Da meint man manchmal dem Wahnsinn Saulers auf den Grund zu kommen, er sagt selbst, er sei gar nicht verrückt, sondern man könnte ihn für verrückt halten, weil er in einem Haus der Verrückten wohne. Das verstehe ich, das ist deutlich. Damit ist wohl wieder die Gesellschaft, unser Staat gemeint. Ja, kommt mir auch verrückt vor, was da so passiert. Manch ein Lokführer mit fünf Jahren Berufserfahrung verdient nicht mal 2.500 Euro brutto im Monat und der Gewerkschaftschef bekommt nach ein paar Streiktagen Morddrohungen. Verrückt. Paul Sauler schreibt:

„Ich bin Paul, ehemals Künstler an unsrer kleinen Oper, jetzt beschäftigungslos und vielmehr verrückt. Gott, was habe ich da verraten? Wie sie alle erschrecken! Nein! Ich bin nicht verrückt, nicht verrückt in euerm klugen Sinne. Glaubt es, ich bin sehr intelligent, eine versteckte Begabung sogar ist in dieser letzten Zeit in mir zum Vorschein gekommen. Aber ich bin verrückt, verrückt nur deshalb, weil ich in einem Hause der Verrückten wohne.“

Das klingt in der Tat nicht nach verworrenen Sätzen eines wahnsinnig gewordenen. Doch dann sind da Aufzeichnungen in dem Text, wie:

„Zehntausend zur Rechten, zehntausend zur Linken. Hunderttausend mit leuchtenden Birnen in ihren ehernen Stirnen. Zu Hilfe, zu Hilfe dem Herrn Jesus! Mein Herr und Freund sitzt an meinem Bette. Flüchtest du, Urian? Rufst nicht mehr Urrah, Urraan? Auerhahn, wo kreischest du?“

Das ist weniger gut verständlich. Die Laute verschieben sich spielerisch und damit verschieben sich die Bedeutungen. Der Erzähler scheint diesem Spiel einfach zu folgen. Als bestimme er gar nicht, was er da formuliere, sondern als schreibe er vor sich und hin und versuche den Bedeutungen der eigenen Worte hinterherzukommen. Solche Passagen gibt es in großer Zahl in den Text und sie machen es dem Leser nicht leicht.

Muss ja nicht immer leicht sind. Und über Spießbürgerlichkeit bzw. Antibürgerlichkeit braucht man da jedenfalls nicht weiter spekulieren. Keine Literatur, die dem Spießbürger gefallen könnte.

(Mein Crowdfunding liegt in den letzten Zügen. Wer noch unterstützen will, tue dies bald.)